Während sämtliche Ermittlungsverfahren gegen die beteiligten Baumfällfirmen, Securities und Politiker*innen sowie die Investoren von JaRa entweder gar nicht erst eingeleitet oder eingestellt wurden (wir prognostizierten das damals schon und haben es hier aktuell beschrieben), beginnt die Repressionswelle gegen die Aktivist*innen gerade erst.

Einen kleinen Vorgeschmack auf das, was noch kommen könnte, erhielten sieben Aktivist*innen, denen die Kosten für ihre Gewahrsamnahmen im Kontext mit Protesten rund um den Bahnhofswald in Rechnung gestellt worden waren. Von ihnen forderte die Polizei jeweils rund 130 Euro fürs Eingesperrtwerden (was natürlich gegen deren Willen geschah, aber die Gebührenordnung sieht das so vor). Auch Bußgeldverfahren wegen vermeintlicher Missachtung der Ausgangssperre (die – wir erinnern uns – rein zufällig nur exakt in der Woche der Bahnhofswaldräumung galt) wurden eingeleitet.

Deutlich gravierender sind jedoch die zahlreichen laufenden Strafverfahren. Die Vorwürfe reichen von Hausfriedensbruch über tätlichen Angriff gegen Polizeibeamt*innen bis hin zu Landfriedensbruch. Wer sich bisher nicht oder nur kaum mit Gesetzestexten auseinandergesetzt hat, wird vermutlich nicht mit dem Wortlaut von Strafrechtsparagrafen vertraut sein. Werfen wir daher also exemplarisch einen Blick auf den Landfriedensbruch:

„Wer sich an Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder Sachen oder Bedrohungen von Menschen mit einer Gewalttätigkeit, die aus einer Menschenmenge in einer die öffentliche Sicherheit gefährdenden Weise mit vereinten Kräften begangen werden, als Täter oder Teilnehmer beteiligt oder wer auf die Menschenmenge einwirkt, um ihre Bereitschaft zu solchen Handlungen zu fördern, wird […] bestraft.“

Bezogen auf die Auseinandersetzungen rund um den Bahnhofswald würden die meisten bei dieser Formulierung wohl zunächst an die vermummte Horde mit Kettensägen ausgestatteter Männer denken, die Polizeidurchsagen („Stellen Sie das sofort ein“) missachteten, ohne Rücksicht auf Sicherheitsabstände Bäume fällten und sogar gezielt Bäume mit Menschen darauf ansägten. Die, um ihr Handeln zu verschleiern, sogar ihre KFZ-Kennzeichen abnahmen.

Aber es geht nicht um diese Arbeiter, sondern um Aktivist*innen, denen vorgeworfen wird, sie seien in Richtung des Bauzaunes um das Gelände zugelaufen in der Absicht diesen zu überklettern.

Vollkommen an den Haaren herbeigezogen ist auch der Fall einer älteren Frau, der vorgeworfen wird, die Polizei tätlich angegriffen zu haben. Tatsächlich lief sie lediglich auf der Straße und am Absperrzaun entlang und wurde von der Polizei derart unsanft weggeschoben und geschubst, dass sie zu Boden fiel. Genau das sagte ein Augenzeuge auch vor der Polizei aus, doch den lügenden Polizeizeug*innen wurde, wie so oft, offenkundig mehr geglaubt und so erhielt die betroffene Person einen Strafbefehl in dem steht, sie habe die Polizei angegriffen.

Zwei andere Personen bekamen Post, weil ihnen Nötigung und Körperverletzung vorgeworfen wird, als sie versuchten, Secus und Baumfäller*innen daran zu hindern, den Baum anzusägen, auf dem sich oben eine Person befand. Eins der Verfahren wurde eingestellt, aber die zweite Person bekam eine Anklageschrift (dabei war vermutlich Sexismus im Spiel). Sie soll nun dafür bestraft werden, dass sie versucht haben soll, eine lebensgefährliche Aktion zu unterbinden. Die Person, welche den Baum angeringelt hatte, wurde wahrscheinlich gezielt von ihrem Chef gedeckt. Vor Ort hatte sich die Polizei geweigert Personalien der Baumfäller*innen und Secus aufzunehmen. Stattdessen werden nun die einzigen verfolgt, die sich dem entgegen stellten – eins der widerlichsten Verfahren im ganzen Kontext der Bahnhofswaldräumung.

Zahlreiche Verfahren gibt es auch wegen Hausfriedensbruch. Bei Hausfriedensbruch geht es darum sich aus einem „umfriedeten“ (z.B. eingezäunten) Gelände auf Aufforderung nicht zu entfernen oder unberechtigt einzudringen. Hausfriedensbruch wird vielen der Besetzer*innen vorgeworfen, welche die Polizei aus den unterschiedlichen Baumhäusern räumte. Bei diesen Verfahren war absehbar, dass sie irgendwann kommen würden, aber das macht sie natürlich nicht weniger repressiv. Dazu kommen zahlreiche Verfahren wegen Hausfriedensbruch aus dem Räumungstrubel, als Menschen spontan aufs Gelände gingen und dort die Räumung schwieriger machten.

Zudem gibt es weitere Verfahren wegen Landfriedensbruch, schwerer Körperverletzung, Beleidigung und schwerem Landfriedensbruch, die sich aus Auseinandersetzungen während der Räumung ergaben.

Im Rahmen einer solidarischen Kletteraktion an der ZOB-Kreuzung wurden gegen mehrere Beteiligte Verfahren wegen vermeintlichen Eingriffs in den Straßenverkehr eingeleitet. Dass Polizei und Staatsanwaltschaften immer wieder versuchen, Kletteraktionen oberhalb von Straßen zu kriminalisieren, zeigt sich nicht zuletzt an den aktuell laufenden Prozessen in Frankfurt wegen einer Autobahn-Kletteraktion. Dass solche Aktionen auch schlicht als vollkommen legale Versammlungen gewertet werden können, zeigen hingegen ebenfalls Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit in Fulda und Frankfurt.

Der aktuelle Ermittlungsstand in den oben aufgelisteten Verfahren ist sehr unterschiedlich. So wurden in einzelnen Fällen Strafbefehle (also Geldstrafen-Verurteilungen per Brief) akzeptiert, während in anderen Fällen dagegen Rechtsmittel eingelegt und in wieder weiteren Fällen Anklageschriften eingingen bzw noch ermittelt wird.
Damit gibt es schon einzelne Verurteilungen zu Geldstrafen. Prozesse um weitere Urteile sind zu erwarten. Für die davon Betroffenen ist es oft sehr hilfreich, nicht allein zum Gericht gehen zu müssen, sondern viele solidarische Menschen im Publikum zu haben. Helft auch gerne, gemeinsam die Kosten für das alles zu tragen (Solikonto: VusEumUmseP e.V., IBAN: DE30 8306 5408 0004 0613 81, Betreff: Bahnhofswald).

Es wäre zu früh ein Fazit zu ziehen, aber die Zwischenbilanz ist deutlich: Wer dafür bezahlt wird, andere zu gefährden und die verbliebenen Wald- und Grünflächen der Stadt zu Gunsten von Beton zu dezimieren, braucht nichts zu fürchten – egal, welches Verhalten an den Tag gelegt wird. Wer sich dagegen zu wehren versucht wird überzogen mit Gebühren, Vorwürfen und Verfahren. Aber eins ist sicher: Viele der Angeklagten werden die Vorwürfe nicht still und leise akzeptieren.