Die folgende Einlassung verlas die angeklagte Tortenwerferin vor Gericht als Eingangsstatement:

Demonstrationen und Kundgebungen sind eine von vielen Möglichkeiten sich politisch zu äußern. Aber ich möchte mich bei den Aktionsformen, die ich wähle, nicht daran orientieren was vom Staat gesetzlich anerkannt wird. Im Gegenteil: Politischer Widerstand sollte daran bemessen werden, ob er moralisch legitim ist. Zudem braucht es in der heutigen Zeit ungewöhnliche, unkonventionelle Aktionsformen um sich Gehör zu verschaffen. In diesem Sinne sollte keine AfD-Politiker*in ohne die dazugehörige Torte eine Bühne betreten können. Eine vitale Gesellschaft braucht Raum für Proteste und Meinungsverschiedenheiten. Was hingegen keinen Raum haben sollte ist die menschenverachtende Hetze der AfD.

Für mich war es daher keine Option Frau von Storch irgendwo reden zu lassen. Wer Forderungen danach stellt Flüchtlinge an den Grenzen zu erschießen sollte nirgendwo eine Bühne haben. Sie hat zwar versucht diese Forderung im Nachhinein zu verharmlosen. Doch dies ist nicht mehr als eine billige PR-Strategie. Der Ablauf ist dabei immer derselbe. Es werden vermeintliche „Tabus“ gebrochen. Dadurch wird die AfD anziehender für Menschen aus faschistischen Milieus. Je öfter diese „Tabus“ gebrochen werden, desto normaler erscheinen solch menschenverachtende Äußerungen. Folgt dann der mediale Aufschrei kommen Ausreden und Relativierungen der AfD. Diese dienen dazu anziehend für die „bürgerliche Mitte“ zu bleiben. Diese Ausreden ändern jedoch nichts daran, dass die Politik der AfD im Kern rassistisch, anti-feministisch und erz-konservativ ist.

Frau von Storch spielt dabei eine zentrale Rolle und passt mit ihren Forderungen und absurden Behauptungen perfekt in die AfD. So beschwerte die Adlige sich über die Diskriminierungen, die heterosexuelle Menschen erleiden müssen, behauptete das Kondome nicht vor AIDS schützen und warnte davor, dass Multikulti die Völker religiös und kulturell auslöscht. Wissenschaftliche Grundlagen für ihre Forderungen lassen sich nicht finden. Stattdessen fordert sie, dass die Soziologie-Student*innen der Uni Berlin, welche sich für geschlechtergerechte Sprache einsetzten, lieber zu einem Therapeuten gehen sollen.

Das es – im wahrsten Sinne des Wortes – brandgefährlich werden kann, wenn sich niemand solche menschenverachtenden Forderungen entgegen stellt zeigte sich deutlich in den 90ern. Die Pogrome in Rostock-Lichtenhagen bewiesen wozu „ganz normale“ Menschen fähig sind, wenn rechtsradikale Ideologie mit bürgerlicher Mitte zusammentrifft.
Heute trägt die Hetze der AfD dazu bei, dass wieder eine ähnliche Stimmung in Deutschland entsteht. Jährlich gibt es mehr Angriffe auf Geflüchtete und ihre Unterkünfte: 2011 waren es noch 18 Angriffe. Im letzten Jahr waren es knapp 90 Mal soviele. Das heißt täglich – auch heute – finden vier Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte statt. Und nicht nur in der Hinsicht war 2016 ein trauriges „Rekord-Jahr“, weil soviele Flüchtlinge im Mittelmeer ertrunken sind wie nie zuvor. Währenddessen verunmöglicht die Bundesregierung gesetzlich die Aussicht auf Asyl für die Menschen, die vor Krieg, Verfolgung und Armut fliehen müssen. Selbst ins Kriegsgebiet in Afghanistan werden Menschen abgeschoben.

In einer solchen Stimmung sind jegliche direkte Aktionen gegen die AfD legitim. Natürlich ging es bei der Veranstaltung im November nicht darum Frau von Storch körperlich zu verletzen. Ein Tortenwurf zeigt deutlich, dass ihre Politik so lächerlich und menschenverachtend ist, dass man nicht in Erwägung ziehen sollte mit ihr zu reden.

Die Proteste gegen die AfD in Schleswig-Holstein zeigen Wirkung. In Kiel, Flensburg und anderen Städten vermietet niemand mehr Räume an die AfD. Und selbst auf dem Dorfe in Aukrug und Westernholz kann die AfD jeder Zeit mit hunderten von Gegendemonstrant*innen rechnen. Auch für eine fachgerechte und schnelle Entsorgung der Wahlkampfplakate wurde gesorgt.

Und dennoch steht heute niemand von der AfD vor Gericht, sondern ich soll wegen Beleidigung verurteilt werden. Und das ohne das Frau von Storch ein einziges Wort dazu gesagt hätte, ob sie sich beleidigt fühlt. Das wird sie heute auch nicht können. Denn das Gericht weigert sich standhaft sich an geltendes Gesetz zu halten und Frau von Storch zur Zeugenvernehmung zu lad­en. Aber wer wird von einem Gericht schon Gerechtigkeit erwarten?

Gerichte und starre Gesetze führen viel mehr dazu, dass Menschen aufhören selbst darüber nachzudenken was für sie persönlich moralisch legitim ist. Stattdessen wird die Verantwortung dafür auf den Staat mit seinem Gerichtssystem abgeschoben.
Dabei ist oft genug das geltende Recht erst das Problem. Das Nazi-Regime war ein Rechtsstaat, die Verfolgung Andersdenkender gesetzlich festgeschrieben – was natürlich keinen Vergleich aufmachen soll, nur ein Bewusstsein dafür wecken, dass Gesetze auch das Problem sind, nicht die Lösung. Ein neueres Beispiel wären die aktuellen Terror-Gesetze. Auf Basis dessen wurden in der Türkei und in Frankreich mal eben die Europäische Menschenrechtskonvention außer Kraft gesetzt und in der Türkei Tausende inhaftiert – alles gesetzlich legal. Auch in Deutschland bewegen wir uns immer mehr in Richtung Polizeistaat. Erst vor kurzem wurde ein neues Sondergesetz für Polizist*innen erlassen, welches einen schweren Eingriff in Demonstrations-, Kritik- und Protestkultur in Deutschland bewirkt. So sehen sich die Beteiligten von Aktionen friedlichen zivilen Ungehorsams nicht selten mit frei erfundenen Vorwürfen von tätlichen Angriffen gegenüber Polizisten und Soldaten konfrontiert – was nun pauschal mit einem Mindest-Strafmaß von drei Monaten Gefängnis bestraft werden soll.
Deshalb entscheide ich lieber selbst, was richtig und was falsch ist, mit allen Konsequenzen und ohne Vertrauen in staatliche Institutionen. Ich glaube schon lange nicht mehr, dass es Gerechtigkeit in Gerichtssäalen gibt.

Und dennoch möchte ich mich beim Gericht für die Einladung zum heutigen Theaterstück bedanken. Dadurch bekommt heute nicht die AfD, sondern antifaschistischer Widerstand eine Bühne!