Der letzte Abend in Freiheit

Am Tag vor meinem Haftantritt war ich fast ununterbrochen beschäftigt. Letzte Mails schreiben und beantworten und vor allem Koffer packen. Auf der Website der JVA gab es eine lange Liste mit Dingen, die ich mitnehmen darf und eine noch längere Liste mit Sachen, die ich Zuhause lassen soll. Einiges kommt mir ein wenig willkürlich vor. Ich darf z.B. Bücher mitnehmen, aber keine Zeitschriften. Briefmarken darf ich auch mitnehmen, aber keine Briefumschläge oder Briefpapier. Am Ende landet ein buntes Sammelsurium an Kleidung, Büchern, Stricksachen, Schreib- und Malmaterialien und Yoga-Matte im Koffer. Mal schauen was davon ich in meine Zelle mitnehmen darf – lieber erstmal mehr mitnehmen.
Abends kam dann noch eine Freundin vorbei. Es tat gut nicht alleine zu sein. Ich packe weiter, während sie kocht. Es gibt violette Baby-Kartoffeln. Selber hätte ich mit sowas nicht gekauft, aber ausm Container hinterm Supermarkt nehm ichs gerne. Schon absurd was für gute Lebensmittel sich in Mülltonnen verstecken.
Die restlichen frischen Lebensmittel verschenke ich. Dann noch Blumen gießen, Heizungen runterdrehen und afuräumen. Ich hab Angst, dass ich irgendetwas wichtiges vergesse. Herd ausschalten oder so.
Nachts liege ich noch lange wach. Mit jede Minute, die die Haft näher rückt, werde ich angespannter.

Die Kundgebung zum Haftantritt

Als ich beim Knast ankomme, sehe ich schon von weitem die Kundgebung. Ich bin ein bisschen später da als geplant, weil wir nochmal zurückfahren mussten, da ich die Ladung vergessen hatte. Knapp 30 Menschen sind gekommen und ich freue mich über jede Einzelne. Direkt als ich ausm Auto aussteige, werde ich von der anwesenden Polizei begrüßt: „Es wäre ja ok, dass mich Freunde verabschieden, aber wir sollen nichts aufbauen, weil das den Verkehr behindern könnte und das hätten wir anmelden müssen.“ Trotz dieser Ansprache und des Nicht-Anmeldens klappt alles reibungslos. Abgesehen davon, dass wir die Transpis selber halten müssen. Denn es hätte die freie Nutzung des Gehwegs eingeschränkt, wenn wir die Transpis an den Bäumen festgebunden hätten. Besonders gefreut habe ich mich über den Tortenwurfstand. So ein Wurfstand ist recht leicht zu basteln: Einfach Gesichter und Zitate von ausgesucht beschissenen (AfD-)PolitikerInnen ausdrucken und laminieren. Wir hatten Beatrix von Storch, Bernd Höcke und Alexander Gauland. Die befestigt man dann mit Gaffa oder Sicherheitsnadeln an einer stabilen Folie / Plane. Die Wurfgeschosse kannst du aus Bauschaum in Muffinförmchen machen und mit einem Klecks Rasierschaum garnieren. Bauschaum geht ganz schön groß auf, also nimm lieber ein bisschen weniger. Die „Törtchen“ brauchen ca. eine Nacht zum Trocknen. Dann nur noch die Plane mit den Gesichtern zwischen zwei Laternen oder ähnliches hängen. Ich wünsche fröhliches Werfen!
Dann gab es noch zwei Redebeiträge. Einen von der GG/BO zu den Gefangenen-Protesten in Neumünster und einen zu meinem Tortenwurf.
Schneller als mit lieb war kam der Moment des Abschieds. Viele Umarmungen und aufmunterndes Lächeln gaben mir die Kraft alleine durch die JVA-Tore zu gehen. Bis ich außer Sichtweite war begleitet von lauten „Wir sind nicht alle, es fehlen die Gefangenen“-Rufen.

Der Haftantritt

Es ist ein mulmiges Gefühl als sich die Gefängnis-Tür hinter mir schließt. Direkt beim Eingang ist eine Art Empfangs-Schalter, mehrere BeamtInnen sitzen hinter Plexi-Glasscheiben. Erstmal die Ladung zum Haftantritt und meinen Personalausweis vorzeigen. Danach werde ich in einen Raum begleitet, wo ich ein Bündel Anstalts-Kleidung bekomme. Ich muss mich vor den BeamtInnen umziehen. Es gibt weiße Baumwoll-Unterwäsche, einen grauen Jogginganzug und eine viel zu große graue Jacke. Auch Schuhe, Hausschuhe, Mütze, Schal und Handschuhe bekomme ich von der Anstalt. Eigentlich habe ich einen Koffer voller eigener Kleidung dabei. Aber anscheinend komme ich (um kurz nach 12 mittags) zu spät für das normale Aufnahme-Prozedere. Deshalb muss mein gesamter Koffer erstmal auf der Habe bleiben und wird erst morgen mit mir durchgeguckt. Wenigstens darf ich auf Nachfragen hin zwei Bücher, mein Informatik-Skript und eine Armbanduhr mit auf die Zelle nehmen. Meine Buchauswahl „Harry Potter“ und „Wege durch den Knast“ wird von der Wärterin kommentiert mit: „Ach, das haben wir auch hier.“ Ich bin überrascht, dass ich so einen knast-kritischen Ratgeber überhaupt mit reinnehmen darf. Dann geht’s endlich in die Zelle Nr. 21. Die Zelle hat den Charme einer billigen Jugendherberge. Hellgelbe Wänder, blau-karierte Bettwäsche, an der Wand befestigte Holz-Möbel und bereit liegende Hygiene-Artikel. Fehlt nur noch die Begrüßungsschokolade auf dem Kopfkissen. Auch der Ausblick könnte besser sein. Nichts als Innenhof, Gitterstäbe und Stacheldraht. Es ist ein wenig paradox, aber in dem Moment wo die Zellentür zu fällt, fällt einiges an Anspannung von mir ab. Wahrscheinlich weil der ganze Trubel erstmal vorbei ist und ich endliche in paar Minuten Ruhe habe. Doch es bleibt nicht lange ruhig. Bis es dunkel wird werde ich gefühlt alle halbe Stunde beim Schreiben dieses Textes unterbrochen.
Auf Anfrage wird mir Brot und vegetarischer Aufschnitt gebracht. Fürs Mittagessen bin ich zu spät – dabei ist es erst halb eins. Auch Teewasser, Papier, ein Stift und einen Stapel Blanko-Antragsformulare bekomme ich recht schnell. Im Knast läuft alles über Anträge. Allein am ersten Tag schreibe ich 6 Anträge, beispielsweise für Besucht, zum Telefonieren und die Teilnahme am Sport.
Dann geht’s zur Vorstellung in die „Ladys Lounge“, so sagt das Schild an der Bürotür der Wärterinnen. Diesmal muss ich im Plexi-Glas-Kasten sitzen und werde zu meinen Lebensverhältnissen befragt. Ich stelle auch gleich klar, dass ich nur 14 Tage drin bleiben muss. In deren Akten standen noch 15 Tage – denn angezahlte Tage dürfen nicht mehr vollstreckt werden. Selbst wenn die Anzahlung, wie bei mir, nur 1 Cent beträgt. An der Wand hängt eine große, schwarz-weiß Fotografie. Ich glaube auf der sind Hände zu sehen, die Gitterstäbe umklammern. Wieder in die Zelle. Dann zum Gesundheitscheck. Ich werde vermessen, gewogen und zu allen möglichen Krankheiten befragt. Auch Blut wird mir abgenommen für einen HIV und Heptatitis-Test. Der Arzt hat leider heute keine Zeit mehr für eine Untersuchung. Was bedeutet, dass ich erst morgen Aufschluss kriege und zum Sport darf.
Und wieder zurück in die Zelle. Auf dem Weg müssen gefühlte tausend Türen auf und wieder zu geschlossen werden. Das Knast-Gelände ist sehr groß und verwinkelt. Der Wärter, der mich begleitet, erzählt mir, dass das daran liegt, dass es den Knast schon seit 1906 gibt und dass einfach immer weiter angebaut wurde.
Kaum zurück in der Zelle geht‘s um 16:15 Uhr auch schon wieder raus – diesmal zum Hofgang. Ich bin ein wenig nervös, weil ich dort das erste Mal auf Mitgefangene treffe. Ich habe es davor immre für ein Klischee gehalten, aber tatsächlich laufen fast alle immer wieder im Kreis. Der Innenhof ist spärlich bewachsen, aber hinter dem hohen Beton-Stacheldraht-Zaun kann ich einige hohe Baumwipfel erkennen. Bis auf wenigen Smalltalk komme ich leider mit den anderen kaum ins Gespräch. Wegen der Kälte gehen die meisten schnell wieder rein. Ich nutze meine restliche Zeit, um mit meinen Füßen ein großes Anarachie-A und den Spruch „Baut auf was euch aufbaut, reißt ein, was euch in Ketten hält.“ in den frischen Pulverschnee zu maulen. Als die anderen das lesen grinsen sie kurz, reagieren aber ansonsten nicht darauf.
Wieder in meiner Zelle freue ich mich darüber, dass ich mein Fenster sperrangelweit öffenen und die Krähen im Schnee beobachten kann. Schon merkwürdig, wie sehr man im Knast solche Kleinigkeiten zu schätzen weiß. Die Kombination aus Stacheldraht und Vögeln erinnert mich an das Bild, auf dem der Stacheldraht sich Stück für Stück auflöst und in einen wegfliegenden Vogelschwarm verwandelt wird.

Heute habe ich mehrfach gefragt, ob ich telefonieren darf. Eigentlich hat man bei Haftantritt ein Recht darauf. Die Antworten auf diese Frage reichten von „Ja, das machen wir später.“ über „Das muss ich erst noch mit Kollegen besprechen. Gehen Sie mal so lange wieder auf ihre Zelle.“ bis „Nur dann, wenn du wen anrufst, der die Geldstrafe für dich zahlt.“ Letzteres wurde mir sogar mehrfach angeboten. Mein recht auf einen Anruf davon abhängig zu machen, was ich am Telefon sage, könnte man als leicht erpresserisch bezeichnen.

Es ist erst acht Uhr und ich mache mich bereits bettfertig. Mein Nachthemd ist ein designerisches Highlight: Es hat die Form eines langen unförmigen Sackes und ist überseht mit kleinen, blauen Blümchen. An den Schultern rutscht es mir dauern runter und unten trete ich auf den Saum.