Die Wirkung des offenen Vollzugs

Man merkt das der Frühling beginnt. Diesmal werde ich von den zwitschernden Vögeln vor meinem Gitter-freien Fenster und nicht mehr vom Schlüssel-Rascheln geweckt. Die Sonne scheint und langsam schmiltz der Schnee. Gemeinsam frühstücke ich mit den anderen Gefangenen in der Küche. Hier gibt es eine größere Obst-Auswahl und auch ein Kühlschrank mit Quark und den üblichen Brot-Aufstrichen steht zur Verfügung. Alles fühlt sich ein wenig merkwürdig an. Viel zu zuckrig normal und kaum noch nach Knast. Spätestens als am Vormittag die Liegestühle ausgepackt werden und wir uns im Garten hinterm Haus ausbreiten.
Dabei ist solch ein offener Vollzug gerade deswegen so ekelhaft: Weil man ihm kaum anmerkt, dass es sich immer noch um einen Knast handelt. Oberflächlich betrachtet mag es den Menschen hier besser gehen, aber die Kontrolle und Überwachung ist dennoch da. Nur versteckter. Es erinnert mich ein wenig an die Entwicklung des Schulsystems, wie sie im Film „Alphabet“ (vielleicht war es auch ein anderer Film…) beschrieben wird. Früher hat Schule in erster Linie auf plumper Autorität und Gehorchen basiert. In gewisser Form tut sie das noch immer. Heutzutage soll es jedoch „demokratischer“ zugehen – mit mehr Mitbestimmung usw. Damit wird aber die perfide Kontrolle, die aus Noten, Anwesenheitspflicht etc. besteht weniger sichtbar. Die SchülerInnen haben ja schließlich alle Möglichkeiten. So kann, wenn jemand nicht ins System passt, der einzelnen Person die Schuld zugeschoben werden, anstatt die Fehler im System zu suchen. Die einzelne Person hätte sich ja nur mehr anstrengend müssen.
Ein ähnlicher Effekt lässt sich im offenen Vollzug beobachten: Wenn hier etwas „schief läuft“ kann die Verantwortung dafür viel leichter dem Individuum zugeschoben werden. Der Knast oder die BeamtInnen sind selbstverständlich nie an etwas Schuld. Wenn der Fokus so stark auf dem Individuum liegt rutschen die Probleme, die das Knastsystem an sich verursacht, aus dem Blickfeld und werden weniger leicht kritisierbar.
Dazu kommt das Paradoxon, dass im offenen Vollzug „selbstständiges Leben“ geübt und gezeigt werden soll. Während gleichzeitig im Knast alles bis ins kleinste Detail vorgegeben wird: Mit wem man zusammen wohnt, wann abends das Licht im Flur ausgeht, mit wem man Sex haben darf, wie das Zimmer aus zu sehen hat und wie man mit einander umgehen soll. Um nur einige Beispiele zu nennen. Wie ein „gutes“ Leben auszusehen hat wird auch durch die Anstalt vorgegeben. Am besten komplett Drogen- und Alkoholfrei, mit 8-Stunden-Job. Selbst wenn das für viele gut passt, so ist es doch scheiße, wenn allen dieselbe Lebens-Schablone aufgedrückt wird.

Kundgebung vor dem Knast

Vorm Knast fand am Nachmittag eine Kundgebung gegen Staat, Knast und meine Inhaftierung statt. Ich konnte von meinem Zellenfenster aus die laute Musik hören und die Transpis sehen: „Für eine Welt ohne Knäste“ und „United we stand – gegen staatliche Repression und Polizeigewalt“. Zwei Menschen hängen in den Bäumen, lachen, winken und tanzen zur Musik. Mir bleiben kaum 15 Minuten, um das ganze auf meinem Fensterbrett sitzend zu beobachten. Als ich versuche raus zu gehen – im offenen Vollzug normalerweise problemlos möglich – werde ich von einer Wärterin zurück gepfiffen.
Wieder zurück in der Zelle kann ich noch kurz beobachten wie immer mehr Beamt*innen, auch viele aus der geschlossenen Abteilung, nervös angelaufen kommen. Wenig später scheucht mich dann eine griesgrämige Beamtin aus meinem Zimmer in den Aufenthaltsraum. Der liegt leider so, dass ich dort von der Kletteraktion nichts mehr mitbekomme. Als ich nach dem warum frage heißt es nur „Sie wissen doch wieso.“ Ich meine nur, dass ich schon eine Vermutung habe, aber gerne die Gründe der Beamtin hören will. Da fängt sie an mir zu drohen: „Sie sind ganz schnell wieder im geschlossenen Vollzug, wenn sie sich widersetzen.“ Widerstrebend komme ich mit ihr mit den Aufenthaltsraum. Zum Glück konnte ich mein (gerade vorhin vom Besuch vorbei gebrachtes) Handy mitnehmen und kann so immer wieder draußen anrufen, um auf dem laufenden zu bleiben. Furchtbar angekotzt vom „Zimmer-Arrest“ bin ich trotzdem. Da die Bullen an die Menschen in den Bäumen nicht ran kommen lassen sie alles an mir aus. Aber es auch gut daran erinnert zu werden, wo ich hier bin.
Zwischendurch laufe ich ins Büro. Direkt als die Wärterin mich sieht keift sie los: „Das ist Befehlsverweigerung! Sofort zurück in den Aufenthaltsraum!“. Ich bleibe erstmal ruhig stehen und fange an ihr zu erklären, dass ich nur wissen wollte wie lange das noch dauert und das ich Sachen aus meine Zelle brauche. Sie sagt mir schon Bescheid, wenn ich wieder in meine Zelle kann, blufft sie mich an. Nach erneutem nachfragen kann ich sie dazu überreden mir Sachen aus meiner Zelle zu holen und diktiere ihr eine laaaange Liste mit Gegenständen, die sie auch brav holt. Als sie meine Zelle betritt hört man nur ein „Wie sieht es denn hier aus…“. Da ich erst seit einem Tag in der Zelle bin und nur kurz bleibe hab ich mir natürlich nicht die Mühe gemacht meine Sachen ordentlich in den Schrank zu räumen.
Andere Gefangene, die sich alle noch frei bewegen dürfen, haben beobachtet was draußen vorm Fenster so passiert und berichten mir sehr lebhaft davon. Die eine meint nur „Mutige Weiber!“, eine andere bedankt sich für die nette Ablenkung vom Haftalltag und eine dritte erklärt, dass sie einer Schulklasse bei deren Besuch nächste Woche erzählen wird, dass es hier auch Proteste gibt.
Erst als alles draußen vorbei ist darf ich wieder zurück auf meine Zelle. Ich habe mich mega über die Aktion gefreut! Es ist schön zu sehen, dass der Widerstand draußen weiter geht während ich hier drin sitze.
Die Reaktion der Wärterin hat eines klar gezeigt: Menschen in Uniform werden wohl nie meine Freund*innen werden. Oder um es mit dem Känguruh zu sagen: „Ein Idiot in Uniform bleibt immer noch ein Idiot.“

Wie Knast einen verändert

Die deutlichere Repression und der Besuch heute (noch vor der Kletter-Aktion hatte ich regulären Besuch von drei Freund*innen) haben mich auf einen noch subtileren Prozess aufmerksam gemacht. Schon nach nur 10 Tagen hatte der Knast angefangen meine widerständigen Ecken und Kanten abzuschleifen – so wie wenn ein Stein lange genug mit Wasser umspült wird. Man merkt die Veränderung kaum, weil alles so sanft und langsam verläuft. Bis man sich irgendwann beginnt mit dem Gedanken an zu freunden, dass Knast ja ganz vielleicht gar nicht soooo furchtbar schlimm ist. Solange man sich den halbwegs ruhig verhält. Im Alltag ist man im Knast ja auch vorallem von Menschen umgeben, die Knast toll finden. Erschreckenderweise sogar gar nicht wenige von den Häftlingen selber. Als mir deutlich wurde, an was für eklige Gedanken ich mich gerade gewöhne ist es mir fast ein wenig peinlich. Denn solche Gedanken verschleiern das widerliche, alltägliche Machtungleichgewicht nur.
Wer von euch der Meinung ist, dass bei Kontakt mit der Polizei kein Machtgefälle besteht und dass das ja auch nur nette Beamt*innen sind, die ihren Job machen, dem rate ich zu einem einfachen Experiment. Wenn ihr das nächste Mal in eine Polizeikontrolle geratet und die Beamt*innen um etwas bitten, dann sagt einfach freundlich oder gerne auch weniger freundlich „Nein!“. Oder noch niedrigschwelliger: Fragt immer wieder nach Grundlagen für polizeiliche Maßnahmen. Rein rechtlich gesehen sind Polizist*innen sogar dazu verpflichtet jegliche Maßnahmen zu begründen. Bei reinen Nachfragen wieder ganz schnell aus der Bitte ein Befehl und aus der ausgestreckten Hand ein zuschlagender Gummi-Knüppel. In einem normalen Verhältnis auf Augenhöhe hingegen könnten Bitten problemlos abgelehnt, ohne das eine Person Angst haben muss verschleppt (nennt sich im Amtssprech Ingewahrsamnahme), verprügelt und danach vor ein Gericht gezwungen zu werden.