Tag 11 – Langsam wird’s langweilig

Oh, du süße Langeweile. Jetzt wo es fast vorbei ist, wird die Zeit immer zäher und ich zähle die Stunden bis zur Freiheit. Ich fülle die Zeit mit banalen Alltagstätigkeiten: Essen, schlafen, lesen und viel telefonieren.
Heute hatte ich wieder etwas im Essen, dass Hähnchen-Konsistenz hatte, nach Hähnchen roch und auch so schmeckte. Diesmal bin ich direkt zum Beamten damit. Der ältere Herr versuchte erst mir zu erklären, dass Hähnchen – genauso wie Fisch – zur vegetarischen Kost dazu gehört. Erst auf mein Beharren, dass es das eindeutig nicht tut, hat er dann in der Küche angerufen. Diese behauptete, dass es – weil es ja die vegetarische Koste ist – gar kein Hähnchen sein kann. Als ich nachfrage was es denn dann sein soll meint der Beamte nur: „Joa, das weiß er jetzt auch nicht.“ Ein wunderbarer Zirkelschluss: Es ist das vegetarische Essen, also kann es kein Hähnchen sein. Und selbst wenn wir nicht wissen was es ist, muss es ja vegetarisch sein. Ist ja immerhin das vegetarische Essen.

Tag 12 – die Mauern im eigenen Kopf

Je kürzer die restliche Zeit wird, desto länger erscheint sie mir. Der niedrige Zaun vorm Fenster macht mich nervös. Es wäre sooo verdammt einfach drüber zu klettern. Aus psychischer Sicht sind mir die sichtbaren, hohen Mauern und der Stacheldraht deutlich lieber. Denn der Stacheldraht ist in gewisser Weise auch hier noch da – nur das ich hier gezwungen bin ihn in meinem Kopf minütlich neu zu errichten, indem ich selbst mich daran hindere über den Zaun zu klettern.

Am (offenen) Vollzug ist mit das fiese die Illusion der „Freiwilligkeit“. Gerade die Menschen, die zu externer Arbeit fahren, könnten jeder Zeit aus dem Knast abhauen – aber da sie sich jeden Tag dafür entscheiden wieder zum Knast zu kommen, kann jeden Tag so getan werden, als wären sie „freiwillig“ hier. Es ist viel einfacher physische Mauern ein zu reißen als die Mauern im eigenen Kopf. Übrigens ein Mechanismus, den man auch im Alltag außerhalb der Knastmauern zu spüren bekommt. Das was Menschen davon abhält eine andere Welt zu erbauen und zu beleben ist ja – gerade im Alltag – selten rohe physische Gewalt, sondern viel mehr die Mauern und Grenzen im eigenen Kopf. Die absurde Idee, dass eine andere Welt nicht möglich ist, weil niemand mitmachen würde. Dabei könnte man jeden einzelnen Morgen nutzen, um auf zu stehen und die alte Welt ein zu reißen. Vielleicht klingt es ein wenig pathetisch und vielleicht muss Hoffnung auch immer ein wenig pathetisch klingen: Aber die jetzige Welt mit all ihrer Grausamkeit kann nur weiter bestehen, weil Menschen sich jeden Tag dafür entscheiden diese Welt genau so fort zu führen. Dabei wäre es so einfach alle Mauern an den Grenzen ein zu reißen, die Gefängnisse zu öffnen und die leerstehenden Gefängnisse für irgendwas schönes zu nutzen.

Von Verantwortung und Schuld

Ich kann noch nicht genau klar machen woran genau es liegt, aber der gesamte Knast vermittelt einem ein siffiges Gefühl von „Verantwortung“ und „Schuld“. Mensch soll „verantwortlich“ sein für alle Strafmaßnahmen und „verantwortlich“ für alle Lockerungen. Gepaart mit einem Augen verdrehenden „Also nein, wie kann die Gefangene nur so renitent sein. Dabei sind wir hier alle so nett zu ihr. Ich will ja keine Strafe verhängen, aber mit ihrem Verhalten zwingt sie mich ja quasi dazu.“ von den Schließer*innen. Dabei ist NIEMAND – außer den Wärter*innen und Angestellten – FREIWILLIG hier. Auch darüber welche Strafen oder Lockerungen genutzt werden entscheiden alleine die Beamt*innen. Dabei sind Eigentumsrechte und ungleiche Machtverteilung das eigentliche Problem, welches die Menschen in die Kriminalität drängt. Menschen sind nicht kriminell, sie werden kriminell gemacht.

Ich werde heute immer wieder wegen Kleinigkeiten von einer Beamtin zurecht gewiesen. „Ziehen Sie sich Schuhe an!“, „Stehen Sie ordentlich da!“, „Hände aus den Taschen, wenn sie mit mir reden!“ und „Räumen Sie endlich ihr Zimmer auf!“. Das höfliche Sie kann nur schwer verdecken, dass sie mich wie einen ungezogenen Teenager behandelt. Anfangs bringen mich ihre Zurechtweisungen zum Schmunzeln (inzwischen ist es doch schon ein paar Jährchen her, dass ich mir sowas anhören musste…), aber nach einer Weile bin ich in erster Linie genervt und versuche der Frau – so gut es denn eben geht – aus dem Weg zu gehen. Ich bin froh, dass ich weiß, dass ich eh in wenigen Tagen draußen bin und mir daher nicht tagtäglich sowas anhören muss. Das würde mich auf Dauer wahrscheinlich schon ziemlich kirre machen.