Privatsphäre beim Arzt?

Nachdem ich gestern einer Beamtin von meiner schmerzenden Hand erzählt und direkt ein Kühlkissen bekommen habe, kann ich heute zum Arzt. Der reguläre Arzttermin für Frauen sei zwar Donnerstags, aber bei akuten Problemen geht’s auch schneller. Zumindest diesmal. Um kurz vor 7 werden wir geweckt und in einer Gruppe von 20 Gefangenen zur Arztstation gebracht. Das muss so früh sein, weil am Wochenende so wenig Personal da ist, erklärt mit eine Mitgefange. Mir ist es egal, wann ich dran komme, also gehe ich als letztes und habe dabei gleich Angst dadurch in irgendwelche unausgesprochenen Häftlings-Hierarchien eingeordnet zu werden. Als ich das Arztzimmer betrete, stehen direkt neben dem Schreibtisch zwei Vollzugsbeamte. Sie machen den Eindruck, als ob sie dort schon länger verweilen. „Habe ich kein Recht auf Privatsphäre?“ spreche ich den einen direkt an. Zögerlich antwortet er „Doch.“ und bewegt sich nicht vom Fleck. Erst auf meine Aufforderung hin verlassen er und seine Kollegin den Raum. Die beiden lassen dabei die Tür offen und bleiben in direkter Sicht- und Hörweite stehen. Das – selbst im Knast – die ärztliche Schweigepflicht und alles was dazu gehört herrscht, scheinen sie vorübergehend vergessen zu haben. Die Behandlung ist trotzdem gut. Der Krankenpfleger schaut sich geduldig meine Symptome an und beantwortet alle Fragen kompetent. Trotzdem versuche ich mich zu beeilen – immerhin warten im Nebenraum 20 Frauen darauf ins Bett zurück zu kommen. Nach nur 13 Minuten ist die Behandlung von allen (!) vorbei und es geht zurück auf Station. (Auf dem Weg trafen wir eine zahme Ente. Wer die Fernsehserie „Orange is the new black“ kennt: Vielleicht habe ich das „Huhn von Lübeck“ gefunden?)
Die verschriebenen Medikamente gibt es nicht vorm Arzt, sondern nachher auf der Station vom Personal. Spätestens da wäre erahnbar wer wann welche Krankheiten hat. Im Übrigen: Wie ich erfahren habe ist 23-stündiger Einschluss in erster Linie eine disziplinarische Maßnahme, leichtere Erkrankungen reichen als Begründung nicht.

Essen

Mit dem Essen scheint etwas schief zu laufen. Alleine innerhalb der letzten Woche gab es 2 Mal Fleisch und 1 Mal Fisch, obwohl ich vegetarisch bestellt hatte. Teilweise hab ich’s erst gemerkt, als ich mich nach ein paar Bissen darüber gewundert habe, dass der Tofu so sehnig schmeckt. Leider hab ich mich nicht sofort darüber beschwert, sondern mich erst heute drum gekümmert. Jetzt im Nachhinein erklärt der Beamte nur, dass ich das Essen das nächste Mal aufheben und ihm zeigen soll. Dann würde er die Beschwerde an die Küche weiter leiten.
Die Erfahrungen, dass es im Knast Probleme mit dem Essen gibt, haben schon einige gemacht. Veganes Essen gibt es so gut wie nie. Es sei denn man kann beim Anstaltsarzt eine Unverträglichkeit für tierische Produkte geltend machen. Die Qualität des Essens lässt auch zu wünschen übrig: Ich bin zwar an Uni-Mensa-Essen gewöhnt, aber das hier ist selbst mir zu pappig, zu roh oder zerkocht.

Hofgang

Nachdem mir gestern beim Hofgang direkt die Schreibsachen weggenommen wurden („Beim Hofgang sind keine Gegenstände erlaubt“) sehe ich heute mehrere Gefangene fröhlich Texte lesend ihre Runden drehen. Der Wärter – übrigens der gleiche wie gestern – lässt sie einfach machen. Zumindest so weit ich das aus der Ferne mitbekomme.

Yoga

Geprägt von der Erfahrung des verpassten Gottesdienstes sitze ich diesmal schon lange vorher fertig angezogen in der Zelle. Als es zum Sport klingelt, stürze ich direkt zur Tür und sehe nur noch wie die Stationsflurtür hinter dem Wärter zufällt. Wieder nutze ich die Rufanlage um Bescheid zu sagen, dass ich auch mit wollte. Diesmal werde ich tatsächlich auch abgeholt. Die Mitgefangenen erzählen mir später, dass sie dem Wärter gesagt haben, dass „die aus der Zeitung auch mitwollte“ und er entgegnete „Oh, dann hol ich die besser noch.“ Ob er das als Scherz oder ernst meinte, bleibt offen. Die anderen hatten mich die letzten Tage beim Sport beobachtet und fragen mich heute, ob ich ein bisschen Yoga mit ihnen machen kann. Gerne stimme ich zu – wer kann sich schon „Yoga-Lehrerin im Knast“ in den Lebenslauf schreiben?
Besonders die Übungen für einen flexiblen, gesunden Rücken sind beliebt. Hier hat fast jede früher oder später Rückenschmerzen. Da ich nicht weiß, wann und ob ich morgen die Station wechsle, verabschiede ich mich vorsorglich von allen.

Freiheitsgefühle im Knast

In den letzten Tagen bin ich mir immer mehr meiner Macht bewusst geworden. Die BeamtInnen haben keinerlei Möglichkeit mich raus zu schmeißen. Quasi gefangen im eigenen bürokratischen System. Solange ich es will bleibe ich hier, sammle Infos und Berichte und zelebriere meine Haftstrafe als Recherche-Möglichkeit. Sicherlich auch einiges, dass den BeamtInnen und der Anstaltsleitung nicht passt. Und dagegen können sie kaum etwas tun. Denn jede Einschränkung, jede Schikane führt nur zu neuen Berichten. Und selbst wenn sie mich gut behandeln, kriege ich über andere Gefangene noch genug mit, was hier an alltäglichem Mist passiert. Dazu in den nächsten Tagen mehr…