Am 19.02.2020 wurden in Hanau neun junge Menschen von einem Rechtsextremisten bei einem rassistischen Attentat ermordet!
Es gab aus diesem Anlass eine Gedenkveranstaltung am Südermarkt um 17:30 Uhr. Im folgenden geht es um den Tag bis dahin, da der Hanau Gedenktag dieses Jahr auf einen Samstag fiel, sodass eine zeitliche Überschneidung mit den rechtsoffenen und offenrechten Spaziergängen der Schwurbler*innen in der Flensburger Innenstadt bestand.
Um auf die absurde und respektlose Überlagerung des Hanau Jahrestages und den Spaziergängen aufmerksam zu machen, organisierten Aktivistis einen Gegenprotest, der über die Geschehnisse rund um die Tatnacht aufklärte. Dabei war es für die Aktivitis nicht leicht, mit der Überlagerung umzugehen, da es ihnen wichtig war, auf Hanau aufmerksam zu machen, dem Gedenken genug Raum zu geben und sich gegen die Spaziergänge zu positionieren.
Gegen 15:00 trafen sich mehrere Aktivisti am ZOB mit einem Transpi, auf welchem steht: „Wer Faschos zu Wort kommen lässt hat Blut an den Händen“ und hielten einen kritischen Redebeitrag (im Anhang), um dem rechtem Mob etwas entgegen zu setzten.
Als die ‚Spaziergänger*innen‘ sich in Bewegung setzten, folgten Aktivistis mit Abstand. Von den Bullen aufgestoppt und schikaniert, wurde das Anliegen als spontane Demonstration angemeldet. Da zunächst nicht mehr klar war, wo der rechte Mob sich befand, lief die Gruppe durch die Fußgänger*innenzone, begleitet von 20 Bullen, die angeblich zum Schutze der Veranstaltung da waren. Als die Sponti die sich vom Nordermarkt Richtung Südermarkt bewegte und für eine Zwischenkundgebung auf der Großen Straße in der Nähe von Mc Donalds hielt, kam die immer noch unangemeldete Schwurbeldemo von hinten.
Die Sponti drehte sich zu den Schwurbler*innen und hielt dabei weiter ihren Redebeitrag. Unerwartet stürmten die Bullen ohne Vorwarnung auf die angemeldete Demo zu, um sie brutal aus dem Weg zu räumen. Dabei kam es zu Schubsereien, wobei Menschen zu Boden gingen und über die Straße gezogen wurden. Anschließend wurde die angemeldete Demo gekesselt und der unangemeldete Spazierzug hatte genügend Platz, um vorbeizumarschieren.
Dies zeigt mal wieder, dass rechte Aufmärsche schützenswerter für Staat und Polizei sind als linker Gegenprotest und Gedenken an die Opfer eines rassistischen Attentates. Uns wundert das nicht.
Im Kessel fragten Demoteilnehmende, wieso sie brutal und ohne Ansage geräumt wurden. Laut Polizei haben wohl Erfahrungswerte der letzten Zeit deutlich gemacht, dass sie nicht mit linken Demonstrierenden reden kann. Mensch fragt sich, aus welchen Erfahrungswerten gesprochen wird, denn von linker Seite wurden Demonstrationen auch in letzter Zeit angemeldet, wozu es ‚Kooperationsgesspräche‘ auch mit Polizei und Ordnungsamt gab.
Später als sich die Schwurbler*innen an der Hafenspitze versammelten, wurde erneut der Redebeitrag der Sponti vorgelesen. Auffällig war hierbei, dass zum ersten mal Faschos einen Redebeitrag mit lauten Tröten, Zwischenrufen und zeigen von Mittelfingern störten. Maaßen würde fragen: ‚Zufall oder Chiffre?‘. Zu der Gruppe ist inzwischen ein eigener Artikel erschienen.
Auch nicht als rechts einordbarere Menschen des Spazierganges, brachten ihren Unmut während des Redebeitrags zum Ausdruck, dies zeigt deutlich das die Spaziergänge nicht nur ein Ort sind, bei den offen Rechte mit marschieren, sondern diese sich auch ideologisch immer weiter annähern.
Und auch die Ankündigung seitens der Schwurbler*innen die um 17:30 angekündigte Gedenkveranstaltung zu besuchen und zu stören stellt eine Grenzüberschreitung dar.
Hier der verlesene Text der Sponti:
Gedenken heißt kämpfen! – Zwei Jahre nach dem rassistischen Anschlag in Hanau
Am 19. Februar 2020, also heute genau vor zwei Jahren, wurden neun Menschen aus rassistischen Motiven in Hanau ermordet. Bis heute sind immer noch viele Fragen unbeantwortet. Die folgenden Schilderungen basieren auf den Text „Ketten des Versagens“ der Initiative 19. Februar Hanau. Denn es ist an der Zeit Zuzuhören!
Vor der Tat:
– „Seit 2013 besaß der Täter eine Waffenbesitzkarte, die später verlängert wurde. Es fiel auch nicht auf, als er 2019 wieder Anzeige bei der Staatsanwaltschaft Hanau erstattete – weil er sich wieder überwacht wähnte. Die Anzeige bestand aus einer Aneinanderreihung rassistischer Ideologie und wirren Verschwörungsmythen.“
– „Im März 2017 und/oder im Mai 2018 kam es zu einer bewaffneten Bedrohung mit einem Sturmgewehr in Hanau-Kesselstadt, in unmittelbarer Nachbarschaft des Tatorts vom Februar 2020. Die Jugendlichen, die die Polizei alarmiert hatten, wurden zunächst als unglaubwürdig angesehen und ihnen wurde mit einer Anzeige gedroht. Die Frage ist: „Warum damals nicht abgefragt wurde, wer in der Nähe dieses Ortes einen Waffenschein hat. Die Beamten wären sofort auf den späteren Attentäter gestoßen, der nur 200 bis 300 Meter vom Ort der Bedrohung entfernt wohnte.“
– „Es wurde festgestellt, dass die Webseite des Täters bereits ab dem 13.02.2020 also mehrere Tage vor der Tat sämtliche Dateien enthielt, die der Öffentlichkeit zugänglich sein sollten. Spätestens sechs Tage vor der Tat waren also alle Videos und Dateien des Täters online im Netz zu finden, inklusive des rassistischen Traktats, das als Bekenntnis des Täters zu verstehen ist.“
– „Der Täter soll sich ab Juni 2019 bis Januar 2020 insgesamt fünf Mal bei einer Firma zu Schießtrainings angemeldet haben. Zweimal ist er sicher auch vor Ort gewesen, allerdings einmal gleich zu Beginn und das zweite Mal nach einer Stunde vom Training ausgeschlossen worden. Außerdem erfolgte im September bei der gleichen Firma die private Anmietung eines Schießstandes zur Nutzung mit der eigenen Waffe.“
Warum hatte der Täter eine Waffenerlaubnis? Warum sind die Behörden nicht früher auf den Täter aufmerksam geworden? War der Staat erneut auf dem rechten Auge blind?
Hätten die neun Morde am 19. Februar 2020 verhindert werden können? Diese Frage stellen die Angehörigen der Opfer, die Überlebenden und die Verletzten des rassistischen Terroranschlags.
Auch während und nach der Tatnacht gibt es verschiedene Beispiele für das Versagen der Polizei und der Behörden, so zum Beispiel (aus verschiedenen Zeugenaussagen der Angehörigen und Überlebenden):
– wurde ein Überlebender nach der Tat, während der Täter noch auf der Flucht war, aufgefordert seine Aussage bei einer 3 Kilometer entfernten Polizeiwache zu tätigen. – wurden Vili Viorel Păuns Eltern nicht über den Tod ihres Sohnes in Kenntnis gesetzt, sondern erfuhren erst am 20.02. um 13:00 Uhr vom Tod Ihres Sohnes als sie selbst zur Polizeistation gingen. „Diese Nichtinformation und Ignoranz der Behörden gegenüber dem Ehepaar Păun setzt sich auch in den kommenden Wochen fort: niemand aus den Behörden informierte sie darüber, dass der Sohn versucht hatte, den Täter zu stoppen.“
– wurde Familie Kierpacz in der Tatnacht als sie in ihrem Auto saßen (während sie auf die Nachricht warteten, ob ihre Tochter noch lebt) von SEK Beamten mit gezogenen Waffen umstellt und zum aussteigen gezwungen. Dies bedeutete eine zusätzliche fürchterliche Schrecksekunden für eine Familie, die gerade ihre Tochter und Schwester verloren hatten.
Dazu Filip Goman selbst: „Ich sehe wie die von hinten kommen, mit vielen, in voller Montur. Da war ein Licht an dem Helm, seitlich am Kopf. Schwarz mit Helmen und Schutzkleidung waren die. Da waren viele, die von hinten kamen. Ich sage zu den Kindern, keine falsche Bewegung, weil die knallen uns alle ab hier und sagen dann, dass es Notwehr ist. Sie kamen von hinten vom Kofferraum her, also von hinter dem Haus. Die stehen mit Waffen auf uns g
erichtet an allen Türen und sagen: langsam aussteigen! Hände auf die Lenkung! Hände zeigen! Langsam aussteigen! Sie hatten uns eingekreist. Sie standen an allen Türen. Dann mussten wir die Hände auf das Autodach legen und sie haben noch immer die Waffen auf uns gerichtet. Ich sage: bitte ich bin der Vater von Mercedes Kierpacz. Die hören mir nicht zu. Die anderen Polizisten waren vorne vor der Arena Bar weiterhin. Ich rufe „bitte Herr Wachtmeister“ zu dem Polizisten, der mir vorher geholfen hat. Hände runter! schreit mich einer an. Bitte, ich bin der Vater von Mercedes. Dann kommt der Polizist rüber und sagt zu dem von der Sondereinheit: das sind die Angehörigen. Der nimmt immernoch die Waffe nicht runter. Der andere sagt: nehmen Sie bitte die Waffe runter. Und irgendwann sagt der endlich zu seiner Truppe ´falscher Alarm…“
– musste Etris Hashemi, Überlebender des Anschlags, der mehrfach angeschossen wurde, erst auf die Freigabe eines Krankenwagens warten, wurde dann als der Verdacht aufkam, das der Täter wieder zurückgekommen sei, von den Rettungskräften auf der Trage liegend als Schutzschild genutzt und musste daraufhin noch auf die Freigabe warten, dass der Krankenwagen losfahren darf.
– konnte Vili Viorel Păun, der den Täter verfolgte und den Anschlag verhindern wollte, den Notruf nicht erreichen. Vili wählte dreimal den Notruf. Alle Anrufversuche blieben unbeantwortet und wurden offenbar auch nicht registriert. Kurze Zeit später wurde Vili Viorel Păun in seinem Auto ermordet.
Und auch nach der Tatnacht war das Verhalten der Behörden und Beamten gegenüber der Angehörigen und Überlebenden durch Respektlosigkeit gezeichnet, „keinen der nächsten Angehörigen wurde Gelegenheit gegeben, den Sohn, die Tochter, die Mutter oder den Bruder vor der Obduktion zu sehen. In den Obduktionsberichten wurde durchgehend vermerkt, die Angehörigen seien nicht erreichbar gewesen, bzw. sie seien angehört worden. Dies war jedoch nicht der Fall. Über mehrere Tage hinweg wurde den Angehörigen nicht gesagt, wo sich die Verstorbenen befinden. Ein solch überhastetes Vorgehen passt nicht zu der Situation eines rassistischen Anschlags mit verhältnismäßig klarer Täteridentität. Von den Obduktionen dürften sich wenige Rückschlüsse ziehen lassen, die im Sinne der Beweisführung von Bedeutung sind. Stattdessen war für die Angehörigen die Konfrontation mit ohne ihr Wissen geöffneten und wieder zusammengenähten Körpern ihrer Liebsten ein zweites Trauma.“
Außerdem „erhielten mehrere Angehörige und Überlebende im März, die in Hanau-Kesselstadt leben, Anrufe bzw. Ansprachen seitens des Polizeipräsidiums Südosthessen. Ihnen wurde mitgeteilt, dass der Vater des Täters an seinen Wohnort zurückgekehrt sei. Sie wurden dazu aufgefordert auf Familienangehörige einzuwirken, keine Straftaten zu begehen und den Vater des Täters ‚in Ruhe zu lassen‘. Sogenannte Gefährderansprachen in einer Situation, in der sich alle Familienangehörigen kurz nach der Tat noch im Schockzustand befanden.“
Der Innenminister Peter Beuth hat am 14. Mai 2020 im hessischen Landtag angegeben, dass der Polizeieinsatz sowie die Betreuung der Angehörigen in und nach der Tatnacht quasi optimal verlaufen seien. Was eine höhnische Aussage? Angebracht wäre eine Entschuldigung gewesen, doch wie auch sonst verschleiern Staat und Polizei ihr eigenes Versagen. Das staatliche Versagen vor, während und nach der Tatnacht ist unverzeihlich und nicht etwa zufällig, sondern Ursache strukturellen Rassismus.
Jedes Wochenende aufs Neue sehen wir, welche Unmengen an Polizist*innen nach Flensburg geholt werden, um rechtsoffenen Verschwörungsgläubigen und gewaltbereiten Faschist*innen die Straße freizuprügeln! Wir fragen euch: „Wo wart ihr in Hanau?“ Die Prioritäten der Polizei sind klar zu erkennen!
Behörden und Medien relativieren oder spielen die Gefahr rassistischer Netzwerke runter – einige Beamt*innen sind sogar teil der Netzwerke. Wieder oder eher immer noch morden Rassist*innen in Deutschland und das zum Teil mit Unterstützung des Staates.
Widerwärtig ist die Entscheidung rechtsoffener Spaziergänger*innen am Jahrestag von Hanau gemeinsam mit Rechten auf die Straße zu gehen! Das in den letzten zwei Jahren Coronaverharmloser*innen mit Nazis auf die Straße gehen – damit rechtes Gedankengut verharmlosen ist teil des Rechtsrucks, der dazu beiträgt, dass rassistische Gewalttaten sich in den letzten Jahren mehren. Wer Faschos zu Wort kommen lässt, hat Blut an den Händen!
Die Angehörigen und Überlebenden fordern Erinnerung, Gerechtigkeit, Aufklärung und Konsequenzen! „Wir brauchen Taten statt Worte. Wir können nicht auf den nächsten Anschlag warten!“ hieß der eindringliche Appell aus Hanau. Der antisemitische Anschlag in Halle, der Fall von Aman Alizada, der von der Stader Polizei erschossen wurde oder Omar K., der in Barmbek von einem Polizisten erschossen wurde, Giorgos Zantiotis, der im November in Polizeigewahrsam starb, die Drohnung vom NSU 2.0, rechtsextreme in Bundeswehr und Polizei, das Ignorieren tausender Toter an den EU-Außengrenzen – all das zeigt uns wie notwendig der Kampf gegen Rassismus und Faschismus ist!
Nutzen wir unsere Trauer und lasst uns entschlossen Rassismus, Antisemitismus und Antiziganismus entgegentreten!
Lasst uns kämpfen!
Kein Vergeben, kein Vergessen! Hanau ist überall.
Wir trauern um:
Gökhan Gültekin
Sedat Gürbüz
Said Nesar Hashemi
Mercedes Kierpacz
Hamza Kurtović
Vili Viorel Păun
Fatih Saraçoğlu
Ferhat Unvar
Kaloyan Velkov