Gegenöffentlichkeit in Flensburg

Wo sind denn hier die Nazis?

Zum dritten mal in Folge demonstrierten am Samstag den 18.12.21 mehrere hundert Menschen als vermeintlicher „Spaziergang“ in Flensburg vordergründig gegen Coronamaßnahmen (Bericht zur ersten größeren Spaziergangs-Demo hier). Auch in zahlreichen anderen Städten erleben die Demos gegen die Coronmaßnahmen gerade insbesondere angesichts der Debatte um eine Impfpflicht großen Zulauf und sogar in Kleinstädten und Dörfern kommt es zu Protesten. Und wieder müssen wir erklären, was wir seit anderthalb Jahren erklären: Kritik an autoritären Maßnahmen finden wir sinnvoll, die Pandemie zu leugnen oder zu verharmlosen und mit Nazis gemeinsam auf die Straße zu gehen, halten wir für unvertretbar. Deswegen beteiligen wir uns nicht an diesen Demos, sondern protestieren dagegen. Obwohl wir gegen eine Impfpflicht sind.

„Ich habe hier keine Nazis gesehen“ sagen uns die Leute. Und statt uns zu fragen, auf wen oder was wir uns damit beziehen, geht die Schimpftirade gleich weiter, wir seien vom Staat bezahlt, wir seien die eigentlichen Nazis und überhaupt würde das gemeinsame Ziel ungefähr jedes Bündnis rechtfertigen. Nein, tut es nicht. Wer mit Nazis auf die Straße geht sorgt dafür, dass rechtes Gedankengut als ganz selbstverständlicher Teil des Meinungsspektrum akzeptiert wird. Ganz genau so funktioniert gesellschaftlicher Rechtsruck. Dass ein Teil der Demonstrierenden aus einem eher alternativen Milieu kommt, ist leider kein Gegenbeweis sondern erschreckender Beleg dafür, wie weit diese Querfrontbestrebungen schon fortgeschritten sind.

Aber werfen wir doch einfach mal einen Blick auf ein paar konkrete Demoteilnehmer:

Twanie

In einem seiner Songs (Redrum) rappt Twanie „Die Pandemie ist Fake“. Ein böser Geist würde Unheil treiben, kein Virus. „Als ich zum Heiland fand, sind meine Dämonen ausgewandert“ singt er. Und „Lass dich nicht impfen, lass dich taufen“ ist nicht nur Teil des Songs, sondern auch Zusammenfassung seiner zentralen Message. In „Verschwörungstheorie“ singen Twanie und Enki „Der Impfstoff is ne Biowaffe zur Bevölkerungsreduzierung“.

Twanie kommt im Hoodie der Rapbellions auf die Demos in Flensburg. Eben jener Truppe der er selbst angehört und in der auch Antisemit Xavier Naidoo mitmischt. Naidoo, der an anderer Stelle mit dem Nazi-Sänger Ostendorf kooperiert und zu Beginn der Pandemie dadurch auffiel, den Q-Anon Mythos eingesperrter Kinder verbreitet zu haben. Heulend saß Naidoo damals vor der Kamera. Ob Twanie sich daran ein Vorbild nahm, als er am 18.12. die Falschmeldung eines vermeintlich nach Impfung gestorbenes 5jährigen aus Harrislee verbreitete, obwohl es dort nie ein totes Kind gab?

Die Akademie Engelsburg

In mehreren Flensburger Chatgruppen, die bis vor kurzem noch „ungeimpft“ im Namen trugen und jetzt „selbstbestimmt leben“ heißen, sind Menschen, die auch zur Flensburger Gruppe der Akademie Engelsburg gehören. Einer rassistischen, sexistischen, antisemitischen Gruppierung, deren Oberguru Martin Laker eine Militärdiktatur und ein deutsches Reich errichten möchte und fordert, Menschen sollten sich nur mit Menschen gleicher Hautfarbe fortpflanzen. Auch auf den Anti-Impf-Spaziergängen waren Angehörige der Akademie Engelsburg. Mehr zur Akademie Engelsburg findet sich hier.

Die Basis

Zahlreiche mehr oder weniger prominente Mitglieder des Kreisverbandes der Partei die Basis waren auch auf den „Spaziergängen“. Darunter David Claudio Siber. Er verlinkt regelmäßig rechtsradikale und rechtsoffene Internetportale und Akteur*innen, bezieht sich freundschaftlich auf neurechte Influencer und gibt Interviews bei Rechtspopulisten. NS-Vergleiche und die
Behauptung, Impfungen dienten u.a. der Bevölkerungsreduktion runden das Bild ab. Außerdem auf den Demos: Marko Wölbing, der seinen eigenen „Widerstand“ gegen die Coronamaßnahmen mit dem Widerstand der weißen Rose im deutschen Faschismus verglich, indem er demonstrativ weiße Rosen vor dem Amtsgericht niederlegte als es bei einem Anwalt zu einer Hausdurchsuchung kam. Das ist eine respektlose Verhöhnung der Opfer des Naziregimes, eine Verharmlosung einer Diktatur, die gezielt Millionen von Menschen ermordete. Und auch der Direktkandidat des Kreisverbands für die Basis für die Landtagswahl Reinhold Majeske macht deutlich, wo diese Partei inhaltlich steht. Er spricht bei der Impfung gegen Corona von einer „sogenannten Coronaimpfung“ und repostet und liked auf facebook Beiträge und Seiten der AfD. Er veröffentlichte dort auch sein wahlomat-Ergebnis, was 63% Übereinstimmung mit der NPD und 68% Übereinstimmung mit der AfD enthielt. Majeskes Sinn für „Humor“ verdeutlicht der folgende Post:

Und auch aus seiner Haltung zu Geflüchteten macht er kein Geheimnis, wie der folgende rechtspopulistische Post zeigt:

Das alles verwundert nicht, bei jemandem, der vor knapp drei Jahren postete „Wo Unrecht zu Recht wird, wird AfD-Mitgliedschaft zur Pflicht“, das Aslyrecht ablehnt und eifrig gegen Geflüchtete, Merkel, Thunberg und die Grünen hetzt und  Volk, Heimat und Liebe zu Deutschland propagiert.

Die Chatgruppen

Es gibt keine Zentrale der aktuellen Proteste. Die Strukturen rund um die Partei die Basis und die Initiative Flensburg für Grundrechte (FFG) spielen unserer Einschätzung nach weiterhin eine nicht unwichtige Rolle (Wölbing meldete beispielsweise einen der „Spaziergänge“ vor Ort als Spontandemo an und FFG schrieb auf telegram explizit etwas von blauem Himmel und Sonne), doch die aktuelle Dynamik entsteht maßgeblich in zahlreichen Telegramgruppen, die weder zur Basis noch zu FFG gehören.

Von Diktatur, Faschismus und Apartheid ist in diesen Chats ganz selbstverständlich die Rede, wenn es um die Beschreibung der aktuellen Situation geht. Bei aller notwendigen und sinnvollen Kritik: Solche Gleichsetzungen sind eine Verhöhnung der Opfer von Diktatur, Faschismus und Apartheid. Als wäre die Pflicht beim Einkaufen eine Maske zu tragen ansatzweise vergleichbar mit industriellem Massenmord. Als sei ein Wattestäbchen in der Nase ein Todesurteil, als sei ein Bußgeld fürs Maskenverweigern wie das Urteil zum Tod durch Guillotine. Geschmacklos, geschichtsvergessen und widerlich sind solche Vergleiche.

Daneben wimmelt es auch in den Flensburger Kanälen an Werbung für die AfD, Weiterleitungen aus Q-Anon-Kanälen und auch klassische Reichsbürgerinhalte (Deutschland sei wahlweise eine Firma oder noch von den Aliierten besetzt) werden geteilt.

In einer der Chatgruppen wurde ein Video über die „Volksseele“ geteilt und von anderen Chatmitgliedern positiv kommentiert in dem es u.a. heißt:

„Und der deutschsprachige Raum hat eine deutsche Volksseele, auch bekannt als Germania. Es wurde uns jahrzehntelang abtrainiert für das Deutschtum einzustehen und es zu leben. Wir werden heute noch dafür verantwortlich gemacht, was angeblich damals im zweiten Weltkrieg passiert sei. Erinnerst du dich noch an folgenden Spruch: „Am deutschen Wesen wird die Welt genesen“? Wir sind so viel mehr als uns die Gesellschaft, die Politik und unsere angebliche Geschichte weismachen will. Spürst du den Stolz, was es bedeutet, Deutscher zu sein? Damit meine ich selbstverständlich nur die fühlenden, beseelten Wesen – nicht den Rest, der teils unter uns weilt. Die ganze Welt wartet auf uns. Lasst uns einfach schuldfrei und ohne Bedenken einfach wieder Deutsche sein. Es ist an der Zeit“

Lediglich eine Person im Chat fand das zumindest „schwierig“. Wir finden: Das ist nicht nur „schwierig“, sondern knallharte Holocaustleugnung gepaart mit völkischer Großmachtfantasie.

Zurück zu den „Spaziergängen“
Wer nun meint, es handle sich nur um eine kleine Minderheit, die rechtes oder wirres Gedankengut auf diesen Demos vertrete, den oder die können wir nur einladen, es zu versuchen mit Argumenten durchzudringen. Unsere Beobachtung ist vielmehr, dass hier eine sich selbst bestärkende Szene entstanden ist, die sich für problematisches bis offen faschistisches Gedankengut in den eigenen Reihen überhaupt nicht interessiert. Um es zu betonen: Nicht alle, die dort demonstrieren sind Nazis oder glauben unterirdisch würden Kinder eingesperrt um ihnen Blut abzuzapfen oder die BRD sei eine Firma. Aber zum Einen steigt der Anteil derer, die so etwas glauben rasant an und zum Anderen guckt der ganze Rest sehr angestrengt weg.

Deshalb stellen und setzen wir uns diesen Demos immer und immer wieder in den Weg und klären auf, wer dort mitmarschiert. Mit Megafonen und Sitzblockaden und trotz der Polizei, die in den letzten beiden Wochen mal wieder bewiesen hat, dass antifaschistische Aktivist*innen viel mehr ihr Feindbild sind als Coronaleugner und Nazis, die sich Hand in Hand an keinerlei Auflagen halten.

Bericht aus Nürnberg: https://www.volksverpetzer.de/aktuelles/neonazi-querdenken-nuernberg/

Redaktioneller Hinweis: In der ursprünglichen Version dieses Textes stand „Und auch der Direktkandidat für die Landtagswahl Reinhold Majeske spazierte mit.“. Dies war ein Irrtum für den wir uns entschuldigen wollen und den wir dementsprechend im Text korrigiert haben.

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