Gegenöffentlichkeit in Flensburg

„Ihr seid alle Jana aus Kassel“

Es gibt Dinge, von denen ich ehrlich nicht erwartet hätte, sie jemals erklären zu müssen. Zum Beispiel, warum es eine geschmacklose, geschichtsvergessene und unfassbare Relativierung der NS-Diktatur ist, weiße Rosen deutschlandweit vor Amtsgerichten niederzulegen, um auf eine Hausdurchsuchung bei einem Richter aufmerksam zu machen.

Genau das haben aber heute deutschlandweit hunderte Menschen getan. In Flensburg waren es knapp 30 Menschen (wie gewohnt ohne Masken und ohne Abstände) und der Gegenprotest formulierte sarkastisch „Ihr seid alle Jana aus Kassel“. Es gab vergleichbare Aktionen wie in Flensburg auch mindestens an den Amtsgerichten in Andernach, Frankfurt, Marburg, Erding, Rüsselsheim, Weimar, Ulm, Hanau, Hechingen, Düsseldorf, Geislingen, Goslar, Weilheim, Diez, Darmstadt, Heilbronn, Augsburg, Harburg, Potsdam, Crailsheim, Wolfratshausen, Niebüll, Bernau, Dortmund, Dresden, Sömmerda, Coburg und Norderstedt.

Was war dem vorausgegangen?

Ein Familienrichter in Weimar hatte die Maskenpflicht an Schulen für aufgehoben erklärt und sich explizit positiv auf die Querdenken-Bewegung bezogen. Gegen ihn wurde sodann ein Verfahren wegen Rechtsbeugung eingeleitet und in diesem Zusammenhang kam es auch zu einer Hausdurchsuchung bei ihm. Darin sieht das gesamte Spektrum der Coronaverharmloser*innen nun den Tod des Rechtsstaates und so riefen diverse Gruppen und Einzelpersonen sowie die Partei „die Basis“ dazu auf, vor Amtsgerichten deutschlandweit Blumen abzulegen. In einigen der Aufrufe ist explizit von weißen Rosen die Rede.

Das Symbol der weißen Rose ist im deutschsprachigen Raum untrennbar mit der Widerstandsgruppe rund um die Geschwister Scholl im dritten Reich verbunden. Diese Symbolik ist den Querdenkern auch durchaus bewusst. Sie nutzen sie gezielt, vergleichen also das heutige System mit dem dritten Reich und in der Folge ihren eigenen „Widerstand“ oder jedenfalls den des Richters aus Weimar mit dem Handeln der „weißen Rose“. Genau das tat auch die in sozialen Medien berühmt gewordene „Jana aus Kassel“, die sich tatsächlich auf einer Querdenken-Demo mit Sophie Scholl verglich. Darauf spielten die Gegenproteste heute mit ihren Schildern „Ihr seid alle Jana aus Kassel“ an.

Die sich in einer Diktatur wähnenden Querdenker fertigten eifrig Fotos von „der Antifa“ an und erklärten auf Nachfrage, sie würden diese Bilder dann auf ihre Dartscheiben hängen. Außerdem wurde spekuliert, ob der Gegenprotest von der SPD oder doch eher von den Grünen finanziert werde…

Stand anfangs noch „Euer Weg wird ein rechter sein“ auf einem der Transparente der Gegenproteste, wurde daraus nach einigen Monaten, nach Beteiligung von AfD-Funktionären und Thor-Steinar-Klamotten-Trägern sowie Teilnehmenden mit „Ungeimpft“-Judensternen „Euer Weg ist ein rechter“. Der heutige Tag belegt diese Tendenz einmal mehr.

Vermehrt tauchen in letzter Zeit auch Plakate, Aufkleber und Graffiti der Verharmloser*innen auf, die sich zusehends radikalisieren und gern ihre vermeintliche Opferrolle betonen.  Diese Szenerie bestärkt sich in ihren eigenen Telegram- und sonstigen Filterblasen und hat den Bezug zur Realität weitgehend verloren.

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