Der Bahnhofswald und erste Herrschaftsspiele
Viereinhalb Monate war der Bahnhofswald in Flensburg besetzt, um ihn vor der Rodung zu schützen. Wenige Tage vor der Räumung und Teilrodung ergaben erste Anfragen nach dem Informationszugangsgesetz Schleswig-Holstein, wie sehr Simone Lange ihre Beziehungen ins Kieler Umweltministerium nutzte, um entgegen der Fachbehörden und trotz Klimakatastrophe ein Prestigeprojekt zweier Investoren durchzusetzen.

Herrschaft durch Nicht-Wissen
Egal ob Seehofer, der eine Studie zu Rassismus in der Polizei für überflüssig hält und nebenbei damit prahlt, Gesetze möglichst so zu schreiben, dass keins sie versteht, weil es dann weniger Protest dagegen gibt, oder die Stadt Flensburg, die die Existenz von Dokumenten leugnet: Sie alle stehen für einen abgehobenen, autoritären Machtanspruch, in dem die jeweils Regierten vor allem als lästig betrachtet werden.

Und Informationen gibt die Stadt Flensburg schonmal gar nicht heraus. Von vier IZG-Anfragen bezüglich des Bahnhofswaldes wurde nach über einem halben Jahr noch keine einzige beantwortet:

Die Nicht-Antwort auf die erste Anfrage zur Quelle im Bahnhofswald war noch halbwegs glaubwürdig: Es wurde vermeldet, dass die Stadt da keine eigenen Dokumente habe. Eben diese Unterlagen geliefert hat am Ende das Landesamt für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume.

Die zweite Anfrage, mit der nach Baugenehmigung, zugrundeliegenden Gutachten (zB zur Hangstabilität) und dem städtebaulichen Vertrag zwischen Stadt und Bauherrin gefragt wurde, wird bisher unter fadenscheinigen Begründungen abgelehnt:
Persönliche Daten der Bauherrin.“ Tja, es gibt in Deutschland keinen Schutz für „persönliche Daten“ einer juristischen Person. Nicht nur das, es ist vollkommen schleierhaft, was persönliche Daten einer juristischen Person überhaupt sein sollen. Der Charakter persönlicher Daten ist schließlich, die persönliche Lebenswelt von Menschen (in Jurasprech: natürliche Personen) zu betreffen. „Persönliche Daten einer juristischen Person“ sind also nicht nur nicht extra geschützt, sondern vollkommen undefinierter Quatsch.
Als nächstes kamen sie an mit Schutz vor Sabotage, weil ja auch Pläne von Wasser- und Stromleitungen darin enthalten seien. Ok, verständlich, sollen sie halt die Dokumente rauslassen und den Rest rausrücken. Aber nein, die Ablehnung für ein angefragtes Dokument gilt bei der Stadt Flensburg offenbar für die gesamte Anfrage. Mittlerweile sind seit dem eingelegten Widerspruch drei Monate vergangen, es läuft eine Untätigkeitsklage.

Die Untätigkeitsklage wegen ignoriertem Widerspruch erstreckt sich auch auf eine weitere Anfrage nach der Vorbereitung der Allgemeinverfügungen, mit deren Hilfe geräumt wurde. Die Corona-Allgemeinverfügungen mussten mit dem Land abgesprochen werden, in der Nutzungsuntersagung wurden die Feuerwehr und die Investoren zitiert. Wie diese Zitate zur Stadtverwaltung und in die Verfügung kamen? Die Stadt Flensburg leugnet die Existenz entsprechender Dokumente.

Glaubwürdig ist das nicht.
Nach der Hambiräumung umfasste genau diese Dokumentation aus der Vorbereitung circa 20 Aktenordner. Eine deutsche Behörde, die kein Buch darüber führt, mit wem sie worüber spricht? Sind wir bei den Gebrüder Grimm?

Der einzige glaubwürdige Grund hier ist, wenn die Stadt Flensburg die Herausgabe der Dokumente zur Hambiräumung an Journalistis und Abgeordnete als Fehler einstufte und die NSU-Methode angewendet hat: Alle potentiell unangenehmen Dokumente zum erstbesten Zeitpunkt in den Schredder stecken.
(Fun Fact am Rande: Als der VS NRW das mit den NSU-Akten tat, war der heute für das gesamte rheinische Braunkohlerevier zuständige Aachener Polizeipräsident Referatsleiter für Rechtsextremismus in ebenjener Behörde.)

Entsprechend ignoriert wird auch die letzte Anfrage zu allgemeinen Dokumenten über die Räumung. Hier bat die Stadt Flensburg um Präzisierung der „zu unbestimmten“ Anfrage. Auf die daraufhin übersandte detailliertere Aufzählung von Dokumenttypen und Themen reagierte die Stadt mit Angstmache: Diese Anfrage würde sehr teuer werden (bis zu 500€), ob sie denn trotzdem aufrechterhalten würde?
Seit diese Frage vor über drei Monaten bejaht wurde, wird die Anfrage durch die Stadt Flensburg offenbar ignoriert, jedenfalls hat das Anfragestelli seitdem keine weitere Nachricht erhalten. Hier folgt die Untätigkeitsklage demnächst.

Und immer wieder Corona
So richtig skurril wird es, wenn eins die Antwort des Gesundheitsministeriums in Kiel auf die Frage nach Protokollen zur Vorbereitung der Allgemeinverfügungen liest.

So wie Cops und Secus eine Coronaparty feiern durften, um eine Ausgangssperre gegen schlafende Leute durchzusetzen, so feiert das Gesundheitsministerium eine metaphorische Coronaparty, um ihr Herrschaftswissen zu verteidigen:

Es ist zu erwarten, dass die begehrte Veröffentlichung in vergleichbaren Situationen den nötigen offenen, sachorientierten und raschen Austausch zwischen fachlich betroffenen Stellen beschränken würde. Die eingeschränkte Arbeits- und Abstimmungsfähigkeit der Behörden hätte in Zeiten der Pandemie wiederum zusätzlich unmittelbar negative Auswirkungen auf weitere Rechtsgüter von Verfassungsrang, insbesondere Leib und Leben der Bevölkerung

Diese Ablehnung ist so nicht legal, das sagen sogar die vom Ministerium selbst zitierten Urteile. Wenn überhaupt, könnten einzelne Mails oder Namen deshalb geschwärzt werden, die Gerichte verlangen dafür aber detaillierte Einzelfallbegründungen.

Vor allem aber ist es dreist. Erst wird die Pandemie für sachfremde Repression und die Durchsetzung von Kapitalinteressen genutzt, und dann wird mit derselben Pandemie begründet, dass diese Vorgänge geheim bleiben müssen. Das entkräftet nicht ansatzweise die Vermutung, dass die Ausgangssperre eigentlich gar nicht primär der Pandemiebekämpfung, sondern vor allem der Räumung diente, und bestätigt die Warnungen, dass der Staat jede Gelegenheit nutzt, autoritäre Strukturen aufzubauen und zu verstärken.

Und außerdem ist es falsch: Wenn Behörden durch Geheimniskrämerei auffallen und den Eindruck erwecken, die Pandemie für sachfremde Maßnahmen zu nutzen, leisten sie damit Verschwörungsideologien Vorschub, die sämtliche Infektionsschutzmaßnahmen ablehnen und so letztlich die Pandemie am Laufen halten und viele weitere Menschen um ihre Tätigkeit, ihre Gesundheit oder ihr Leben bringen. Sie befeuern damit Antisemitismus und Sozialdarwinismus, Ideologien, die auch unabhängig von der Pandemie immer wieder Leben kosten.

Fazit
Angesichts dieser Reaktionen auf einfache Anfragen haben die Behörden in Schleswig-Holstein offenbar beschlossen, ihre ungestörte Herrschaft über den eigenen Anspruch der Rechtsstaatlichkeit zu stellen, und die „mündigen Bürger“ und „Souverän“, als die sie uns immer wieder bezeichnen, zu verhöhnen.

Wir haben nichts besseres erwartet und sind doch enttäuscht.