Corona wird immer mehr zur willkürlichen Argumentationslogik von Stadtpolitik missbraucht. Ob es darum geht unbequeme Demonstrationen zu verbieten oder um sämtliche Räumungen zu veranlassen. Die Coronaparty findet immer dann statt, wenn viele Bullen aus mehreren Bundesländern eng zusammen kommen und sich im Einsatz noch nicht mal dazu bequemen eine Maske zu tragen.

Das einzige mal, dass in Flensburg eine Ausgangsperre herrschte, war in der Woche der Bawa Räumung. Genauer gesagt, fing sie am Tag der Abholzung an. Unter diesem Vorwand sollte auch die Mahnwache Nachts nicht mehr stattfinden, sodass die Baumbesetzer*innen allein oben gelassen werden mussten, bis im Eilverfahren das Gericht – natürlich – das Demonstrationsrecht höher gewertet hatte als die Ausgangssperre.

Später stellte sich heraus, dass sich verzählt wurde und die Inzidenzwerte gar nicht so hoch waren wie angenommen.

Macht und Kapitalinteressen spitzen sich immer weiter zu. Investor*innen denken, dass sie beispielsweise Wälder, wie den hiesigen Bahnhofswald, besitzen und über diese verfügen können. Selbst solche kleinen Stadtwälder sind enorm wichtig für das Klima und haben globale Auswirkungen.

Wir – als globaler Norden – stehen in der Verantwortung. Wir sind die Hauptverursacher*innen des Klimawandels, welcher primär im globalen Süden zu spüren ist. Menschen, die unter anderem vor dieser Auswirkung fliehen, werden dann noch nicht einmal mit offenen Armen empfangen, sondern es wird lieber zugeschaut, wie sie im Mittelmeer ertrinken. Stattdessen wird hier weiter gerodet und Flächen werden versiegelt.

Mit Hilfe von Politik werden Kapitalinteressen durchgesetzt. Auf Ruf stehen dann die Handlanger bereit, diese Interessen von den wenigen, die über monetäre Mittel verfügen, durchzuprügeln.

Unter Corona nehmen die Repressionen zu, sie werden zu einem Vorwand, unter anderem unser Recht auf Stadt, Klimagerechtigkeit und Demonstration zu erschweren. Aber nicht mit uns! Wir gehen auf die Straße, besetzen sowohl Leerstände als auch Wälder, lernen kreativ zu werden, zu klettern und zu kämpfen. Zusammen sind wir eine Masse, die von nichts und niemanden aufgehalten werden kann. Immer weiter Richtung Utopie.

Jede Räumung hat ihren Preis!

Mit jeder Räumung wächst unsere Wut!

Im Folgenden erzählen einige der Besetzer*innen, wie es ihnen auf den Bäumen während der BaWa Räumung ergangen ist und wie sie die Situation in Flensburg wahrgenommen haben:

Am Donnerstag Abend vor der Räumung kletterten wir mit dem ausgesprochenen Versprechen Simone Langes in die Baumhäuser, dass in dieser Saison nicht mehr gerodet und geräumt werden soll1.

Ein paar Stunden später – es war noch dunkel – saßen wir kerzengerade in den Betten. Geweckt wurden wir von Funksprüchen, dem Aufbau der Hamburger Gitter um den Wald, oder Motorsägen. Von Baumhaus zu Baumhaus waren die Perspektiven auf das Geschehene stark unterschiedlich. Zwischen Anziehen, dem Dokumentieren der Situation und dem Verschaffen eines Überblicks versuchten wir uns zu koordinieren, und nicht dabei die Kontrolle zu verlieren. Wir fühlten uns alle überrannt.

Dieser Freitagmorgen zog sich für die meisten von uns hinaus in eine kleine Ewigkeit, gefüllt von unserer erdrückenden Ungewissheit. Während einige nicht viel mehr als den Fällarbeiten und dem Einzäunen tatenlos zusehen bzw. zuhören konnten, und immer mehr einem Ohnmachtsgefühl verfielen, fingen andere an „einfach zu funktionieren“.

Besonders hart war die Lage am vorderen Teil des Waldes, dem, der der Bahnhofsstraße zugewandt ist. Hier waren die Baumfäller seit dem frühen Morgen damit zugange, alle Bäume unten am Stamm anzusägen – diese Taktik sollte bezwecken, dass die Wasserzufuhr der Bäume gekappt ist, sodass die praktisch tot sind ohne direkt gefällt werden zu müssen. Das gelang, vor der eintreffen und durchsetzen der Bullen, nahezu vollständig, mit 3-4 Ausnahmen wurde jeder Baum an der Straße noch vor Sonnenaufgang ermordet. Von den Baumhäusern aus konnten wir nicht erkennen, wie tief die Bäume eingeschnitten waren, und fürchteten bei jedem einzelnen, dass er umfallen könnte und jemanden von uns mitnimmt. So wurden auch die Stützbäume aller Baumhäuser an der Straße angesägt – völlig egal, ob sie besetzt oder unbesetzt waren.

Die verantwortlichen Fällarbeiter wussten von der Anwesenheit des Menschen im Baumhaus Loft an der Straße. Aus der Berechnung eines unabhängigen Baumpflegers geht hervor, dass die Bäume, die das Loft trugen, beim Ansägen 60% ihrer Stabilität einbüßten.

Weder das pflanzliche Leben, oder das der Fledermäuse, noch das Leben von uns Besetzer*innen schienen die von den Investoren angeheuerten Handlanger zu achten.

Zwei weitere Häuser, Hotel und Suite, wurden ebenfalls in Einsturzgefahr gebracht, ohne diese auf eventuelle Bewohner*innen zu kontrollieren. Das Baumhaus Villa Villekulla wurde von einer Hebebühne aus in einen mehrere Meter tiefen Fall gebracht.

Etwas tiefer drinnen im Wald, mitten in einem nun zerstörten kleinen Sumpf, stand die Sumpfburg, ein äußerst wackeliges, aber relativ stabiles Holzgebilde, welches am 1.Tag der Rodungen drei Menschen beherbergte. Zwischen diesem Konstrukt und dem Baumhaus Forsthaus Falkenau war eine Traverse (ein horizontales Kletterseil) auf 3-4 Meter Höhe aufgespannt, auf diese stellte sich während des Angriffs ein Besetzer – sehr zum Missfallen der Sekus, die alles daran setzten, jede zu erreichende Kletterkonstruktion zu zerstören.

Um den Menschen von eben genannter Traverse hinunter zu holen, schlugen Sekus kleine Bäume gegen das Seil. Der für’s Durchtrennen der Traversen im Wald verantwortliche Arbeiter drohte, das Seil, obwohl ein Mensch darin hing, zu durchtrennen; mit der Aussage: „Wenn du fällst, dann ja nicht so tief“.

Bäume wurden in unmittelbarer Nähe gefällt, weshalb wir immer befürchten mussten, dass diese ins Seil fallen. Die Traversen haben Sekus durchgeschnitten. Sie hatten keine Ahnung, was sie da machen. Die Traverse in dem der Mensch hing, war an der einen Seite an einer relativ dünnen Birke befestigt. Wir hatten Glück, dass die Traversen nicht durchgängig gespannt waren sondern einzeln. Ansonsten wäre die Person schon vor dem Eintreffen der Bullen abgestürzt, da die Sekus die Konstruktion nicht gecheckt haben. Trotzdem dienten die Seile, die von der Birke in den nächsten Baum gingen, als Stütze, damit die Birke nicht weg knickt.

Die Baumhäuser tiefer im Wald, Rød Grød, Punschbude und Parkhaus wurden zu diesem Zeitpunkt noch nicht angegriffen. Vor dem Wald hingegen ereignete sich an diesem Morgen ein weiterer Bruch mit jeder Form von menschlichem Respekt. Eine Mitstreiterin versuchte die Stützbäume Lofts vor dem Ansägen zu bewahren. Diese Rettungsaktion endete damit, dass sie von mehreren Sekus herum geschubst und mehrfach zu Boden geworfen wurde, sowie Schmerzgriffe (etwa das Verbiegen von Fingern) Anwendung fanden, um sie schließlich mit viel zu engen Kabelbindern zu fesseln.

Danach wurde unsere Mitstreiterin den Bullen übergeben. Diese nahmen ohne jeglichen Skrupel ihre Personalien auf, so als hätte sie in dem Moment ein Verbrechen begangen. Trotz wiederholter Aufforderung weigerten sich die Bullen vor Ort, die Personalien der Sekus aufzunehmen, die durch ihr Handeln Menschenleben riskiert und die Baumfällarbeiten unterstützt hatten.

Wir müssen uns grundsätzlich fragen, in welch einer Absurdität wir uns befinden, wenn die einzige Person, die versucht, Menschenleben zu retten, von privaten „Sicherheits“-Angestellten niedergeknüppelt, und dann von der Polizei abgeführt wird. Was soll denn das bedeuten? Dass sich zukünftig alle Investor*innen eine Privatarmee einkaufen können und dann vom staatlichen Gewaltmonopol unterstützt werden, bzw. mit diesem kooperieren?

Die Sekus scheinen dabei ihren Spaß zu gehabt zu haben: wir hörten, wie einer später witzelte, dass seine neue Position im Wald langweilig sei – vor’m Wald gäbe es viel mehr Action. Da konnte er schließlich auch eine Frau niedertacklen.

Auch einige Politiker*innen scheuen sich nicht, das Bauvorhaben weiter durchzudrücken, trotz des kriminellen und menschlich abscheulichen Verhaltens der Investoren Duschkewitz und Hansen. Allen voran Simone Lange.

Um Mittag rum traf dann die Ablösung der Sekus ein: mehrere Hundertschaften Polizei aus drei verschiedenen Bundesländern übernahmen die Belagerung der Baumhäuser, das Abschneiden der Versorgungswege und das Ermöglichen der Vernichtung des Waldes.

Am Freitag Nachmittag fanden mehrere Gespräche mit den Einsatzleitern und der Oberbürgermeisterin statt.
Das Baumhaus Rød Grød ruhte in einem 140-Jahre alten Baum2, direkt neben dem Post-Parkplatz. Von hier aus war somit ein guter Blick auf den Parkplatz möglich, zum Teil konnten auch Gesprächsfetzen überhört werden (z.b. die sexistischen Witze der Seku-Chefs).

So wurde am Nachmittag beobachtet, wie Simone Lange zwischen den im Abbau befindlichen Sekus und den Vans der Einsatzkräfte mit den beiden Investoren über den Parkplatz und am Postgebäude entlang spazieren ging: Die Oberbürgermeisterin in der Mitte, Duschkewitz und Hansen zu ihrer Rechten bzw. Linken. Das Gespräch schien freundlich und von Einverständnis geprägt zu sein. Jedenfalls ließ sich beobachten, wie Duschkewitz ihr mehrmals zustimmend und wohlwollend an die Hüfte und den Rücken fasste. Was hier gesprochen wurde, können wir nur erahnen.

Diese Beobachtung steht in völligem Kontrast zu dem, wie sich die Oberbürgermeisterin in den Folgetagen öffentlich äußerte, nämlich wie arg „zerrüttet“ das Vertrauensverhältnis zu den Investoren sei und wie ach-so-hintergangen sie sich fühle. Was wir beobachten konnten, war pure Eintracht.

Es wurde klar, dass die Baumfällarbeiten fortgesetzt werden würden, zumindest an den bereits angeschnittenen und verlorenen Bäumen.

Ohnmächtig dabei zusehen zu müssen, wie dieselben Baumfäller, die morgens beim Massaker zumindest anwesend und somit mitverantwortlich sind, völlig ungehindert weiter fällen, macht rasend!

Arbeiter, die Menschenleben aufs Spiel setzen, liefen erneut unter uns mit Kettensägen rum.

Zum Einsatz kam auch ein sogenannter Harvester, eine Maschine die mit einem Greifarm ganze Bäume auf einmal fällen kann.

Auch tiefer im Wald, um die auf wackeligen Grund stehender Sumpfburg herum, wurde gefällt und gebaggert. Der Baggerfahrer stieg einmal aus und meinte, er könne für nichts mehr garantieren.

Direkt daneben stand auch der Einsatzleiter, hörte dem Gespräch zu und blieb tatenlos, als weiter gefällt wurde – die Gefährdung körperlichen Sicherheit in Kauf nehmend.

Später wurden die Stützen der Sumpfburg vom Harvester ebenfalls beinahe weggesäbelt.

In der Nacht waren wir den Launen der Bullen ausgesetzt – so hatten wir zwischendurch keinen Zugriff mehr auf Wasser, Essen, oder Menstruationsprodukte.

Wir fragen uns noch immer, wie in der heutigen Welt – die akut bedroht ist von einer Klimakatastrophe – Kapitalinteressen so viel mehr wiegen als das Gemeinwohl. Wie können wir mehrheitlich begreifen, dass uns der Kapitalismus nicht schützt, uns nichts gibt, sondern uns in unsere Selbstzerstörung führt? Wie schaffen wir es selbstständiges und widerständiges Denken zu erlernen und gemeinsam ins Handeln kommen?

Nicht zuletzt: Was sollen wir zu einer Oberbürgermeisterin und einem Rathaus sagen, das so dreistes, so unreflektiertes, so unrechtes Verhalten veranlasst und gutheißt? Was zu einem Rat aus repräsentativen Vertreter*innen, die nicht nur vor ein paar Jahren – nach zwei Ablehnungen im Ausschuss und anschließendem Abendessen mit den Investoren – im dritten Anlauf, also quasi mit der Brechstange dieses bescheuerte Bauprojekt auf den Weg brachten und nach einer so unfassbaren Eskalation den Antrag zur Einrichtung einer Arbeitsgruppe zur Aufklärung der Geschehnisse ablehnt? Was sollen wir also anfangen mit einem Stadtrat, der nicht für die Stadt, sondern für die Geldinteressen von Investoren einsteht?

Wir glauben, dass das Projekt des besetzten Bahnhofswaldes jede Menge Menschen politisiert und wütend gemacht hat. Es hat aufgezeigt, dass wir gemeinsam – trotz so großer Unterschiede – zusammen kommen können und großen Wirbel veranstalten können.

Wir solidarisieren uns mit allen Besetzungsstrukturen, gerade angesichts der gewaltvollen Räumungen in Berlin. Wir hoffen, dass für jeden geräumten Freiraum mindestens zwei neue entstehen. Besetzt Leerstände und Wälder! Wir kämpfen weiter für die Möglichkeit einer besseren Zukunft, für die Existenz der Natur und die Existenz der noch zu kommenden Generationen – für eine freiere, gerechtere Welt.

Wir bleiben wütend!

Fußnoten:

1) Siehe https://taz.de/Flensburger-Baumbesetzerinnen-bleiben/!5753150/ und  https://srv.deutschlandradio.de/dlf-audiothek-audio-teilen.3265.de.html?mdm:audio_id=903553​​​​​

2) Die Valentiner Allee, die großen Linden im Wald also, wurden vor 140 Jahren gepflanzt.