Wir dokumentieren hier die Einlassung der angeklagten Aktivistin im gestrigen Bahnhofswaldverfahren (und hier findet sich ein Prozessbericht vom ersten Tag):

 

Ein politisches Strafrecht gibt es formal in Deutschland nicht. Und doch ist offensichtlich: Hunderte Menschen haben in den vielen Monaten, in denen das Böömdörp bestand, den Bahnhofswald besucht. Journalist*innen, Kindergartengruppen, Abgeordnete, Musiker*innen, Angehörige der Bürgerinitiative, Aktivist*innen.

Ginge es, wie gerade vorgelesen, tatsächlich um den Akt des Betretens, so müssten all diese Menschen ebenso verfolgt werden wie ich. Nicht dass ich mir das wünsche, im Gegenteil. Ich führe es nur an, um klar zu machen, dass das Ziel dieses Strafbefehls eben nicht eine neutrale rein formaljuristisch vorgesehene Bestrafung eines klar definierten Verhaltens ist, sondern der Versuch, ganz bestimmte Akteur*innen zu belangen. Der shz schrieb im Februar 2021, ich sei „das Gesicht der Besetzer des Bahnhofswaldes“. 60 Tagessätze also für mich, wo in zahlreichen sehr ähnlich gelagerten Verfahren oft 15 im Strafbefehl standen und kürzlich sogar ein Einstellungsangebot einging, weil an der Verfolgung kein öffentliches Interesse bestünde.

Ja, in der Akte findet sich eine lange Liste mit Fotos und Interviews mit mir im Wald. Aber wenn doch angenommen wird, ich habe das Gelände widerrechtlich betreten und darin bestehe die vermeintliche Straftat, warum spielt alles dann Folgende dann überhaupt eine Rolle? Was haben Baumhäuser mit einem Hausfriedensbruch zu tun? Nun, vielleicht werden wir es erfahren. Viel wichtiger erscheint mir aber die Frage: Was spielt für mich eine Rolle?

Stellen Sie sich vor, jemand würde Ihnen erzählen, es habe geheime Treffen zwischen den Investoren von Jara und der Stadt Flensburg gegeben. Vielleicht würden Sie sagen: „Nee, das glaub ich nicht. Ich frag einfach mal nach.“ Auf Ihre Anfrage hin, würde die Stadt dann mitteilen, dass sie dazu lieber nichts sagen möchte. Sie würden vielleicht stutzig und entschieden sich ein Gericht einzuschalten. Und das bescheinigt Ihnen dann: Ja, die Stadt muss die Unterlagen zu den Treffen zeigen. Dann wüssten Sie plötzlich: Es hat diese Treffen tatsächlich gegeben. Und Monate später wüssten Sie aber immer noch nicht, was in den Unterlagen steht, denn die Stadt weigert sich schlicht, den schon lange rechtskräftigen Beschluss umzusetzen und Ihnen offenzulegen, was dort besprochen wurde.

Ich könnte Dutzender solcher „Stellen-Sie-sich-vor“-Geschichten erzählen hier. Davon, dass Simone Lange die Einschätzung der unteren Forstbehörde nicht passte und sie die Angelegenheit daraufhin einfach persönlich in die Hand nahm, indem sie Kontakt zur übergeordneten Behörde aufnahm, bis schließlich die untere Forstbehörde einknickte. Oder besser: eingeknickt wurde.

Davon, dass die auf dem Bahnhofswaldgelände befindliche – und heute unter Schutz stehende – Quelle gezielt totgeschwiegen und wegdefiniert wurde, um sie im Bebauungsplan nicht berücksichtigen zu müssen, obwohl ihre Existenz schon lange bekannt war.

Davon, dass im Wissen darum, dass es zu Protesten und Menschenansammlungen kommen würde, dennoch eine Coronaschutzverordnung als Rechtsgrundlage herangezogen wurde, um Menschen aus den Baumhäusern zu räumen und der Infektionsschutz sogar als Vorwand herangezogen wurde, nachts das Versammlungsrecht komplett außer Kraft zu setzen.

Stellen Sie sich außerdem vor, jemand würde behaupten, eine baurechtliche Überprüfung der Baumhäuser sei zum Schutz der Aktivist*innen erfolgt. Spätestens jetzt kann ich nicht anders, als an Herrn Laschet und Herrn Reul zu denken, die ehrlich oder ungeschickt genug waren, offen einzuräumen, dass das Baurecht im Hambacher Wald selbstverständlich nur ein Vorwand zur Räumung gewesen sei.

Apropos Hambacher Wald: Auch der steht in Teilen nur deswegen noch, weil er besetzt wurde. Obwohl es auf dem Papier eine Klage war, die die Überreste des Waldes vor dem Braunkohlebagger bewahrte, war es faktisch die Besetzung, die enorme Aufmerksamkeit auf den Wald und das Thema lenkte und so den Erfolg der Klage erst ermöglichte.

Ich erzähle niemandem hier etwas Neues, wenn ich darauf hinweise, dass das von Jara geplante Bauprojekt ökologisch desaströs ist. Neben der erwähnten Quelle werden oder wurden ein Wald, ein Steilhang und zahlreiche Fledermausquartiere sowie deren Lebensraum zerstört. Ich erzähle vermutlich auch niemandem etwas Neues, wenn ich benenne, dass das Oberverwaltungsgericht die Ansicht teilt, dass aus eben jenen Gründen der Bebauungsplan voraussichtlich rechtswidrig sei.

Doch zurück zur Baumbesetzung:

Stellen Sie sich vor, das Oberlandesgericht würde sich mit dem Vorwurf des Hausfriedensbruches beschäftigen und es würde festhalten, dass die Bedeutung des Wäldchens für das Stadtklima und als Frischluftschneise durchaus zu berücksichtigen sei, aber statt Bäume zu besetzen, könne ja jemand anderes als du Klage einreichen. Deswegen sei Bäume besetzen nicht vom rechtfertigenden Notstand erfasst. Sie schütteln den Kopf, denn Sie können selbst doch in dieser Sache gar nicht klagen und außerdem hätte es doch die Klage ohne die Besetzung garnicht gegeben.

Apropos das eine ohne das andere… Ob es den Überfall der Baumfäller auf das Böömdörp ohne das Verhalten der Stadt gegeben hätte? Stellen Sie sich vor, die Leiterin der Stabsstelle Recht der Stadt Flensburg Frau Eichmeier und der Stadtsprecher Herr Teschendorf hätten Herrn Duschkewitz explizit zur Selbstjustiz aufgefordert und der hätte daraufhin diverse Firmen mit der Zerstörung der Baumhäuser und der Fällung der Bäume beauftragt. Stellen Sie sich weiter vor, viele der Arbeiter hätten sogar, weil sie offensichtlich wussten, was sie taten, ihre Nummernschilder unkenntlich gemacht und keiner von ihnen wäre an jenem Tag von der Polizei auch nur nach seinen Personalien gefragt worden. Falls Sie sich das nicht vorstellen können, empfehle ich Ihnen der Verhandlung weiter beizuwohnen und meinen späteren Beweisanträgen zuzuhören.

Stellen Sie sich vor, im Zuge dieses Vorgehens wären dann Bäume in direkter Nähe zu Menschen gefällt und sogar Bäume mit Personen darauf angesägt worden. So tief angesägt, dass sie nicht mehr standsicher waren. Vielleicht hätten Sie eine Anzeige erstattet. Weil Sie nicht fassen können, dass das Leben der Aktivist*innen auf diese Weise gefährdet wurde. Das Verfahren würde von der Polizei eine Weile verfolgt, zur Staatsanwaltschaft geschoben und schließlich, so würde es Ihnen per Brief mitgeteilt, eingestellt. Möglicherweise würden Sie dagegen nun Beschwerde einlegen. Daraufhin bekämen Sie dann Post von Herrn Oberstaatsanwalt Pansa und der würde Ihnen schreiben, dass das Ansägen des Baumes, auf dem sich eine Person befand, vom Notwehrrecht gedeckt war.

Sie würden vielleicht schlucken. Ein Investor dürfte also Aktivist*innen auf Bäumen im Zweifel sogar töten, um dort ein Hotel zu bauen? Das wäre vom Notwehrrecht gedeckt? Aber auf einen Baum klettern, um ihn zu beschützen, nachdem zahlreiche eigentlich gesetzlich vorgeschriebene Regelungen nachweislich missachtet wurden, ist nicht vom Notstand gedeckt, weil ja wer anderes hätte klagen können?

Sie würden angesichts ihrer Fassungslosigkeit einen genaueren Blick in die Ermittlungsakten der Staatsschützerin Frau Spiecker von der Polizei werfen und feststellen: Die beiden namentlich bekannten Mitarbeiter des Baumservice Christiansen, die am fraglichen Tag exakt zur fraglichen Zeit exakt am fraglichen Baum arbeiteten, wurden nicht einmal polizeilich vernommen.

Und sie kämen schlussendlich immer wieder zu der Erkenntnis, dass es Bände spricht, worüber an diesem Gericht verhandelt wird und worüber nicht.

Und zuletzt stellen Sie sich vor, ich würde aufhören im Konjunktiv zu sprechen.

Simone Lange missbrauchte ihre Position zur Durchsetzung des Bauprojektes. Sie tat dies in vollem Bewusstsein der eklatanten Verstöße gegen Regelungen zum Natur-, Wald- und Artenschutz.

Der Bezug auf Baurecht, Infektionsschutz und Fledermausschutz erfolgte rein strategisch mit dem Ziel, Vorwände zu liefern, um gegen die Proteste vorzugehen.

Herr Duschkewitz hat die Aussagen der Leiterin der Rechtsabteilung der Stadt Frau Eichmeier als explizite Aufforderung zur Selbstjustiz wahrgenommen und umgesetzt. Bauzäune mit Sichtschutz, gewalttätige Privat-Securities, abgeklebte Nummernschilder, das gezielte Ignorieren polizeilicher Aufforderungen, lebensgefährliche Baumfällungen und angesägte Bäume sind da nur folgerichtig.

Die polizeilichen Ermittlungen von Frau Spiecker führten zur Identifizierung von zwei konkret tatverdächtigen Mitarbeitern des Baumservice Christiansen. Die Staatsschützerin hielt diese Zeugen für derart gefährdet, dass sie zwar einen Vermerk zum Schutz ihrer Adressen in den Ermittlungsakten, aber keine Vernehmung veranlasste. Ahnte Sie nur, die Täter gefunden zu haben, oder wusste sie es?

Oberstaatsanwalt Pansa vertritt die Rechtsauffassung, in Deutschland sei es legal für Hotelneubauten besetzte Bäume anzusägen, ergo im Zweifel über Leichen zu gehen.