Neben den Samstagen für Demos oder als „Spaziergänge“ getarnte Aufmärsche hat sich auch der Montag in Flensburg in den letzten Wochen zu einem größeren festen Termin für die Impfgegner*innen etabliert. Während an allen sonstigen Wochentagen jeweils „nur“ wenige Menschen auf die Straße gehen, sind es mittlerweile auch montags über 100. Am 17.1.22 startete ein Teil von ihnen als „Spaziergang“ am ZOB und ein anderer Teil als Lichterkette an der Hafenspitze, bevor dann auch der Aufmarsch zur Gruppe am Hafen hinzustieß. Dort veranstalteten die Coronaleugner*innen dann eine fröhliche Tanz-Party – wie immer ohne Masken oder Abstände.
Wie bereits gewohnt wurde der Gegenprotest von der Polizei (sehr zur Freude der Coronaleugner*innen) recht unsanft weggetragen und weggeschubst, eines der Megafone für die Dauer der Kundgebung beschlagnahmt. Doch weder Polizei noch Verschwörungsgläubige hatten mit Protest von Wasserseite gerechnet und so staunten sie dann doch, als sie aus einem Kanu heraus kritisiert wurden und dort „Schwurbler verpisst euch“ auf einem Transparent zu lesen war. In einem der Flensburger Chats wurden die Paddelnden später am Abend als „Marinejugend der Faschisten“ bezeichnet, wofür es von anderen Zuspruch gab. In der kruden Überzeugung der Verschwörungsideolog*innen sind tatsächlich die, die auf Holocaustleugnung und Hitlerverehrung in den Reihen der Flensburger Spaziergänger*innen hinweisen und damit ein Problem haben, die wahren Faschisten.
Dazu passt auch die vehemente Verteidigung des Neonazis Sven Liebich aus Halle im Chat von Flensburg für Grundrechte als „sehr mutig“. Liebich sei „Teil der Bewegung“ und er täte „viel für die Freiheitsbewegung“. Welche Vorstellung von Freiheit Liebich hat, verdeutlichen seine Aktivitäten für das Nazi-Netzwerk „Blood & Honour“ oder die NPD oder auch der Vertrieb antisemitischer Aufkleber und mit „Abschiebehelfer“ beschrifteter Baseballschläger.
Wir dokumentieren hier einen der gehaltenen Redebeiträge der Gegenkundgebung:
Nazis? Egal – Ich bin „intellektuell resilient“
Knapp 400 Leute sind im telegram Chat „Flensburg ❤️ selbstbestimmt Leben“. Eine davon: Alexandra N. Sie schreibt: „Nun ist es mir ziemlich egal, neben wem ich spazieren gehe und ich halte mich auch für intellektuell so resilient, dass das „falsche Gedankengut“ mich nicht einfach infizieren kann.“ Aha. Das ist also der neueste Dreh in der Nazidebatte unter Verschwörungsgläubigen. Intellektuelle Resilienz. Nach „Wo sind denn hier die Nazis? Ich seh gar keine Springerstiefel!“ (Unsere Antwort: Da und da und da und im Chat und bundesweit offensichtlich in der Bewegung, der ihr angehört und überhaupt, manche von denen tragen übrigens heutzutage Strohhut) über „Ich hab keine gesehen, die waren alle ganz nett, es geht doch um Frieden“ (Unsere Antwort: Wer sehr bemüht wegguckt wird halt auch nix sehen, aber Holocaustleugnung mit Herzchensmileys und betenden Händen bleibt halt Holocaustleugnung), kommt jetzt der neueste Move: “Ja, hier sind Nazis, aber das macht garnix, denn wir sind alle so schlau, dass das garkeinen Einfluss auf uns hat“.
Echt jetzt? Meine Güte ist das naive Selbstüberschätzung. Nochmal zum Mitschreiben: Menschen sind soziale Wesen. Sie beziehen sich aufeinander, lernen voneinander. Auch unbewusst. Tendentiell sogar mehr unbewusst als bewusst. Gesellschaftlicher Rechtsruck und so. Normalisierung rassistischen Gedankenguts und so. Verankerung menschenverachtender Denkmuster in der Mitte der Gesellschaft, Mitverantwortung durch Duldung und so. Ihr wisst schon.Oder halt auch offensichtlich nicht.
Und noch nen Schritt weiter: Selbst wenn das für dich intellektuell resilientes Superhirn stimmen würde (was es nicht tut): Nazis auf andere loslassen ist also OK? Weil die das auch nicht beeinflusst? Weder die Mitdemonstrierenden noch die Zusehenden? Aber warum demonstriert ihr dann überhaupt, wenn es doch keine*n beeinflusst? Wie, tut es doch? Aber nur mit den Sachen die du gut findest, aber nicht mit dem, was die Nazis neben dir gut finden?
Aber warum sag ich das alles überhaupt? Uns gegenüber seid ihr ja dann vermutlich auch intellektuell resilient.
subtilus
18. Januar 2022 — 11:07
Erst ab 100 Teilnehmenden gilt momentan auf Versammlungen eine Maskenpflicht. Die Polizei stellte sich am Montag zunächst auf den Standpunkt, es seien exakt 99 Schwurbler*innen auf der Demo. Daraufhin entschieden sich ein paar Antifaschist*innen, sich unter die Schwurbeltanzparty zu mischen, woraufhin die Polizei mit der neuen Teilnehmer*innenzahl konfrontiert lediglich aufs Ordnungsamt verwies. Die wiederum bestätigten dass es mehr als 100 Teilnehmende seien, wollten aber die Lage nicht eskalieren und ignorierten daher das Geschehen.
Andrea
23. Januar 2022 — 6:26
Leider stand davon im Tageblatt kein Wort, im Gegenteil, da wurdet ihr verteufelt, und die „Spaziergänger“ verharmlost. Von der Aggressivität der Polizisten euch gegenüber kein Wort.