Gegenöffentlichkeit in Flensburg

Von Eichelhähern und bemalten Autos

Ich habe ein paar Tage gebraucht, um eine Positionierung zu den Aktionen zu finden und war anfänglich deutlich ambivalenter als jetzt. Mein erster Impuls war es, mich zu distanzieren.
Aber nachdem ich eine Weile in mich gegangen bin, fühlte ich mich durch die Rodung deutlich stärker bedroht. Und ebenso auch durch die Räumung. Der Eingriff in das Biotop am Bahnhof durch die Investoren ist mehr als Sachbeschädigung oder eine Ordnungswidrigkeit. Dies ist ein Verbrechen an der Natur und somit an der Menschheit. Die Enttäuschung darüber, dass die Politik die Weichen stellt und Beihilfe leistet, tut richtig weh.

Ich wohne hier sehr ländlich mitten in Flensburg und kann nur sagen:
Der Hasel blüht, wir hatten die erste Mücke in der Wohnung, die Vögel balzen und ein schönes stolzes Eichelhäherpärchen fliegt gerade von Baum zu Baum, um sich einen passenden Nistplatz auszusuchen.

Es wird Frühling und das Mitte Januar!

Trotzdem sind es noch lange 1,5 Monate in denen Bäume gefällt werden dürfen und damit würde eine ganze Generation an für uns wichtigsten Kleinstlebewesen irreversibel geschwächt.

Was machen Politik und Verwaltung?
Anstatt sich den Tatsachen zu stellen und die Vorschriften dem wandelnden Klima anzupassen, überlegen sie eifrig, wie sie Sondergenehmigungen finden können, um die jetzigen Schutzvorschriften auch noch zu umgehen.
Das ist Ökozid, und zwar mit Vorsatz!

Vor 2 Jahren haben hier die Bienen die Apfelblüte verpasst, weil sie früher war, als die Insekten und vor allem die Bienen. Die Ernte ist größtenteils ausgefallen.
Das war 2019. Ganze drei Jahrzehnte vor dem geplanten Kohleausstieg, kriegen wir die Folgen schon so unmissverständlich zu spüren.

Wälder und Moore brennen mit Feuer und Flamme weg, Ernten fallen schlecht aus. Wer Boden versiegelt nimmt unseren Insekten, die sowohl uns, als auch unsere Nutztiere versorgen, die Lebensgrundlage. Ohne Insekten werden wir selbstverschuldet am langen Arm verhungern.

Wer sich ein Leben ohne Bienen bisher noch nicht vorgestellt hat, dem empfehle ich das Buch „Die Geschichte der Bienen“ von Maja Lunde zu lesen.

Ich finde die Dramatik dieser grundsätzlichen Existenzbedrohung wird gerade durch die Anschläge deutlich. Denn es geht hier um deutlich mehr als ein paar Bäume.
Die „Anschläge“ sind Handlungen aus Verzweiflung. Aber gerade durch diese, geht es den Leuten plötzlich tatsächlich offiziell um ihre Existenzen und sie raffen endlich, dass auch sie Schaden durch andere erleiden können.

Die Besetzung ist eben mehr als nur coole Hippie-Baumhausromantik und fresher Klimaaktivsmus. Dass Menschen dort 4 Monate in jeder freien Minute neben Familie, Arbeit, Studium und Schule in der Kälte ausharren, und sich eine BI die Beine in den Bauch steht, ist deutlich mehr bitterem Ernst, als Abenteuerlust geschuldet.

Es geht um Verbrechen an der Menschheit und diese werden anscheinend erst sichtbar, wenn man die Waagschale auf der anderen Seite mit ähnlicher Bedrohung füllt.

Der gewaltfreie Widerstand allein hätte uns exakt bis zu einer gewaltvollen Räumung gebracht. In der Menschen niedergeknüppelt worden wären und mit Großmaschinen der Zerstörungswut freien Lauf gelassen hätten, während die Investoren und Politik daneben stehen und sich mit glänzenden Dollarzeichen in den Augen und feuchter Hose unrealistischen Wachstumstagträumereien hingeben.

Und deshalb ist das gut so, dass sich Menschen mit anderen Aktionsformen solidarisieren.

Der Interessenskonflikt fängt endlich an, den Menschen angemessen Angst zu machen.

Absurd ist, dass gerade das Auto ihnen wichtiger zu sein scheint, als ihr Leben in 15 Jahren oder gar die Zukunft ihrer Kinder.
Aber das ist eben der Spiegel, den die Menschen brauchen, um sich mit der Thematik identifizieren zu können.

Statt uns hier aneinander aufzureiben, sollte diese Aufruhr genutzt werden, um die Leute weiter zu erreichen, sie weiter anzusprechen und genau da den Finger drauf zu halten, wo es weh tut, um sie wach zu halten, jetzt wo sie langsam die Augen öffnen.

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