Liebe Simone Lange,
Du irrst dich.
Wenn du sagst, der Rechtsstaat schütze auch unsere Interessen, dann müssen wir dir widersprechen. Der aktuelle Rechtsstaat schützt vor allem eins: das Kapital. Das mag für dich nach altbackenem Marxismus klingen, aber jede nüchterne Betrachtung dieser Gesellschaft zeigt, dass alle Bekenntnisse zur Ökologie oder zum Sozialen nur solange Bedeutung haben, wie sie den Interessen der Wirtschaft nicht im Wege stehen.
Wir glauben dir, dass du das anders siehst. Aber wir unterstellen, dass du schlicht viel zu tief in den Verhältnissen gefangen bist, die diesen Planeten gegen die Wand fahren. Der grundlegende Wandel, von dem einhellig nicht nur für dich schräg anmutende Aktivist*innen wie wir, sondern auch Klimaforscher*innen weltweit sprechen, ist eben nicht das symbolische Verteilen von Mehrwegbechern an der Uni oder eine „großzügige“ Ersatzpflanzung von kleinen Bäumchen. Es ist nicht das symbolische Ausrufen eines Klimapaktes oder die Bezeichnung von Fahrradständern am Bahnhof als Klimaschutzprojekt.
Die Dimension an Veränderung, zu der du bereit bist, lässt sich versinnbildlichen am Umstieg der Stadtwerke von Kohle zu Gas: Von einem dreckigen fossilen Energieträger zu einem anderen ebensolchen. Diese Politik hat mit dem Wandel, der global wie lokal nötig wäre, nichts zu tun. Es ist scheinheilig, auf der einen Seite die Räumung der Luftschlossfabrik zu verurteilen, nun aber selbst die Räumung einer Besetzung zu forcieren, statt nach Lösungen zu suchen, die die Bäume erhalten. Es ist verlogen, Fußballvereinen Hilfe bei der Suche nach einem Platz zu versprechen während gleichzeitig ein voll ausgestatteter Fußballplatz im Bahnhofsviertel abgerissen wird, weil andere Bauten dort rentabler sind.
Eben jener Rechtsstaat, der vermeintlich auch unsere Interessen schützt, ist es, der uns räumen und einsperren wird. Der uns viele Hundertschaften und vielleicht auch die hiesige Hundestaffel auf den Hals hetzen wird. Der täglich Menschen am Bahnhof verhaftet, die vermeintlich „falsche“ Papiere haben. Der auch in Flensburg trotz Pandemie Menschen aus ihren Wohnungen in die Wohnungslosigkeit zwangsräumt. Nein, das sind nicht unsere Interessen.
Du behauptest zudem, mit Klima- und Naturschutz habe unsere Besetzung „nicht im geringsten zu tun“. Uns erscheint deine Argumentation schizophren: Natürlich ist jede Waldbesetzung ein Eingriff in ein Biotop, aber ohne diese Besetzung stünden die Bäume garnichtmehr. Das müsste doch sogar dir auffallen, dass es ein größerer Eingriff ist, Biotope zu vermichten, als sie zu besetzen. Du tust fast so, als würden wir einfach gern im idyllischen Wäldchen leben. Das ist Blödsinn und du weißt es auch. Du versuchst schlicht, uns als die vermeintlichen Umweltzerstörer darzustellen, weil du damit die Grundlage schaffen willst, uns zu räumen. Und da stört es dich, dass uns so viele Menschen in der Stadt mögen. Die Sympathien für uns sind es, die dir Angst machen. Wie wäre es, die Bedenken zu beachten statt mit billiger Hetze Lügen über uns zu verbreiten? Letzteres ist wirklich schäbig.
Einige der Besetzer*innen
Felix Pan Lauwers
25. Januar 2021 — 14:40
Super! Vom fundierten Allgemeinen zum klaren Persönliche. Chapeau! Hut ab!