Nachdem am Samstag das Ausmaß der Schäden im Bahnhofswald nach den lebensgefährlichen Anschnitten und Rodungen der Investoren sichtbar wurde, verlief der Tag zunächst ruhig, wenn auch mit durch die Polizei umstelltem Wald im Belagerungszustand und Auskundschaften der gebauten Strukturen. Der heutige frühe Morgen begann ebenfalls ruhig, dann zog immer mehr Polizei auf.
Infektionsschutz und Wohnen
Bald wurde klar: Diesmal hat die Stadt Flensburg ein Amtshilfeersuchen gestellt, um den Wald endgültig zu räumen. Der Räumungsvorwand diesmal: Ein Verstoß gegen die Corona-Allgemeinverfügung. Die Menschen in den Baumhäusern würden dort nicht wohnen und also gegen die nächtliche Ausgangssperre verstoßen. Absurdistan: Statt in jedem Baumhaus ein bis zwei Menschen, die dort schon seit Wochen zusammen wohnen zu tolerieren, fährt die Stadt einen Großeinsatz mit hunderten Polizist*innen aus anderen Städten, damit diese Corona-Mutationen aus Flensburg auch dorthin bringen können. Und verkauft das als Infektionsschutz.
Auch die Argumentation, die Menschen würden nicht in den Baumhäusern wohnen, weil sie dort nicht gemeldet seien, ist absurd. Ein Mensch aus dem Wald hat sogar versucht, sich in Flensburg bei der Meldebehörde anzumelden mit Wohnsitz Bahnhofswald. Diese wollte das nicht annehmen, auch wenn er argumentierte, dass er doch verpflichtet sei, sich da zu melden, wo er real wohne und das sei nun mal ein Baumhaus. Auch ein Blick ins Innere der Baumhäuser zeigt, wie wohnlich sie eingerichtet sind, ohne Zweifel für einen längeren Aufenthalt. Nach nur wenigen Gedanken wird klar: Hier wird wieder mal etwas vorgeschoben, um räumen zu können, Brandschutz, Infektionsschutz, alles Sachen um die es nicht real geht, sondern darum, die Interessen der Investoren durchzusetzen.
Eine weitere juristische Quälerei, mit welcher die Oberbürgermeisterin nervte, war am Samstag schon das Verbot von nächtlichen Demonstrationen. Um etwa 17 Uhr wurde den Personen an der Mahnwache eine Allgemeinverfügung ausgehändigt, welche Demonstrationen zwischen 21 und 5 Uhr morgens verbietet. In Kraft treten sollte sie um 0 Uhr. Eine Eilklage vorm Verwaltungsgericht wurde eingereicht, etwa um 20 Uhr. Es gibt relativ eindeutige Rechtsprechung aus Bayern, dass es unverhältnismäßig ist, Versammlungen zu verbieten, wenn mit dem Hund rausgehen und arbeiten noch erlaubt sind. Das Verwaltungsgericht hat jedoch leider bis heute Abend nicht darüber entschieden. Nachdem in der ersten Nacht die Deklaration vom Zelt als Wohnung durch die Polizei vorgenommen wurde, damit eine Person dort Wache halten durfte, musste die Versammlungsleitung heute Leute anstellen, damit diese nachts die Mahnwache bewachen dürfen. Denn arbeiten ist erlaubt. Die Auswüchse des Kapitalismus und von Regierungen, denen Buchstaben wichtiger sind als reale Verhinderung von Infektionen.
Gebrochene Versprechen und Fake-News
Dabei handelt die Stadt und auch die Oberbürgermeisterin Simone Lange gegen die Versprechungen die sie gaben. Die taz schrieb am Donnerstag „Räumung abgesagt: Die Flensburger Polizei wird den besetzten Bahnhofswald nicht räumen. Grund ist die Ausbreitung der britischen Coronavariante in der Stadt.“
Der NDR berichtete am Freitag: „Flensburgs Oberbürgermeisterin Simone Lange (SPD) hatte am Donnerstagabend gesagt, dass eine Räumung des Waldstückes wegen der Pandemie-Lage nicht stattfinden werde.“ Und auch in Verhandlungen mit Vertreter*innen der Aktivist*innen am Freitag ging es explizit darum, die Situation zu deeskalieren.
Die heutige Entscheidung, räumen zu lassen, brach dieses Versprechen endgültig und eindeutig. Dass Simone jetzt gegenüber dem SHZ behauptet, diese Aussage von ihr hätte es nie gegeben, dass seien „Fake-News“ setzt dem Ganzen die Krone auf. Es darf nicht sein, was nicht sein kann, Simone kann nicht gelogen haben.
Nach den ganzen Verurteilungen vom Freitag, beispielsweise von der Justizministerin, dass das Gewaltmonopol nicht bei privaten Sicherheitsdiensten liegt, hat am heutigen Tag der Staat wieder sein wahres Gesicht zeigt: Die finanziellen Interessen gehen vor. Wenn eine Privatarmee eine illegale Räumung startet, setzt der Staat sie fort. Genau das lernen Investoren. Danke dafür.
Wir haben sämtliches noch vorhandenes Vertrauen verloren und fühlten uns auch an unsere Versprechungen nicht mehr gebunden. So kam es dann zur Veröffentlichung von Simones Handynummern, damit sich alle dort entsprechend beschweren können, und der Sperrung unseres Twitter-Accounts. Großartigerweise stellte uns dann die Bürger*inneninitiative Bahnhofsviertel ihren Account für den Räumungsticker zur Verfügung. An dieser Stelle nochmal herzlichen Dank.
Räumung und Zerstörung
Mit immer mehr Polizeikräften wurde der Wald abgeriegelt. Ab Mittags wurden dann die Klettercops aktiv und begannen, zu räumen. Aus dem Baumhaus „Forsthaus Falkenau“ wurden mehrere Personen unfreiwillig abgeseilt. Danach wurde das Baumhaus von den Cops direkt komplett zerlegt. All das was wir in Monaten aufgebaut haben, zerstört in wenigen Stunden. Auch wenn es weh tat, dem zuzusehen, war es schön, dass das stabil gebaute Forsthaus nicht bei allen Hammerschlägen sofort nachgab. Auch die Sumpfburg und das Parkhaus wurden zerstört.
Mehrere Menschen wurden von der Polizei auch aus diversen Traversen (Seilverbindungen) und von Bäumen geräumt. Bei den letzten Personen scheiterten sie, weil diese ihnen immer wieder wegklettern konnten und gaben für heute auf. Die Räumung soll morgen fortgesetzt werden.
Aktuell stehen die Baumhäuser Rød Grød, Fløde und Punschbude noch und sind weiter besetzt. Auch wenn die Polizei am Abend mal wieder die Essens- und Trinkenversorgung und damit elementare Grundrechte zeitweise verweigerte.
Es wurden Personalien kontrolliert, ein Mensch kurzzeitig auf dem Polizeirevier eingesperrt. Von den Secus und Baumfällenden, die Freitag aktiv waren und eine Person in Lebensgefahr brachten, weigerte sich die Polizei Personalien aufzunehmen. Wir veröffentlichten gestern eine Stellungnahme dazu. Wenn dann Simone Lange was von Rechtsstaat faselt und damit meint, dass vor dem Gesetz alle gleich wären, können wir nur bitter auflachen.
Wir trauern um die zerstörten Baumhäuser. Um die Bäume die gefällt wurden und noch gefällt werden. Um den Lebensraum der Tiere die hier leben. Um die Fledermäuse, die getötet wurden oder noch werden durch die Baumfällarbeiten. Um ein Stück Natur, um schöne Bäume, die uns schöne Stunden geschenkt haben, die wir nachts im Sturm gehört und gespürt haben. Um das Vogelgezwitscher mit dem wir aufwachen konnten, um das Rotkehlchen, was uns wohl kaum mehr besuchen wird. Alles zerstört für ein Stück Beton, dass sich nicht atmen lässt und die Stadt nur weiter aufheizt.
Support und Soli-Aktionen
Aufheizen ist ein gutes Stichwort, auch die Menschen in Flensburg hat die heutige Räumaktion aufgebracht. Zahlreiche Menschen kamen in den Park um die Besetzer*innen zu unterstützen, schlugen auf Töpfe, waren laut. Aktivist*innen von Junepa blockierten zeitweise die Polizei bei ihren Fahrten auf das Gelände. Das hat Menschen auf den Bäumen viel Kraft gegeben, die Kraft durchzuhalten trotz Belagerung, Räumung und Zerstörung. Danke an alle, die da waren.
Am Abend, etwa eine Stunde vor Ausgangssperre wurde dann noch wer auf andere Weise aktiv und begann ein von einer autonomen Gruppe vor Wochen abgegebenes Versprechen einzulösen: Ein Firmenauto des Investors Jan Duschkewitz ging in Flammen auf. Versprochen worden war, dass für jeden Baum, der gefällt wird, ein Auto in Flammen aufgeht. Wir trauern keinem Auto nach. Und wer jetzt laut aufschreit, den oder die fragen wir: Habt ihr auch aufgeschrien, als Bäume angesägt wurden, auf denen Menschen saßen, die damit gezielt in Lebensgefahr gebracht wurden? Eine Verkehrspolitik, welche auf Autos setzt, sollte endlich Vergangenheit sein, auch ein Grund warum wir gegen das Parkhaus kämpfen, was hier entstehen soll.
Wir freuen uns auch über solidarische Grüße aus Pinneberg und ganz vielen anderen Städten, eine Soli-Baumbesetzung in Hamburg auf St. Pauli und eine kraftvolle Soli-Demo in Kiel. Und darüber, dass genau heute in der Nähe von Halle ein neuer Wald besetzt wurde. Dort soll verhindert werden, dass Storck ein Firmengelände erweitert.
Wir kochen weiter vor Wut. Wut auf die Investoren, auf die Stadt, auf die Polizei, die all das durchsetzt. Wut auf all die, die Wälder zerstören und damit das was uns am Leben hält. Wut auf die, denen Menschenleben egal sind, solange es nur um Profite geht. Und wir versichern euch: Ihr könnt uns zwar belügen, betrügen, verprügeln und unsere Häuser zerstören, aber ihr werdet niemals die Kraft zerstören, die diese Baumhäuser schuf.
Heribert
23. Februar 2021 — 19:31
Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.
GG der BRD Artikel 14, 2
Peter Hansen
26. Februar 2021 — 18:49
Es ist doch schön zu lesen, welchen Realitätsverlust einige Menschen haben. Hier besetzen Aktivisten ein fremdes Grundstück und sind dann auch noch empört, wenn man sie dort nicht haben will und vertreibt.
Natürlich ist es gut, sich für die Umwelt einzusetzen, nur sollte man dabei nicht jegliche Intelligenz über bord werfen.
Hier sind die Investoren durch alle Instanzen gegangen und haben am Ende entsprechende Genehmigungen erhalten. Wer wäre schon begeistert, wenn sich fremde Menschen auf seinem Grundstück einisten und hier offensichtlich schnell unter Realitätsverlust leiden. Hier werden Straftaten begangen und angekündigt und das ist in Ordnung – nur alle anderen sind böse.
Was damit erreicht wird zeigt sich schon in anderen Bereichen. Hier wird gar nicht erst mit Genehmigungen gekämpft, nein, hier werden Wälder einfach mal so abgeholzt um Raum für „Neues“ zu schaffen. So muss man keine Angst vor Aktivisten haben, welchen meinen ihr Aufenthaltsort wird sofort zum rechtsfreien Raum. Aber wehe, ihnen kommt jemand zu nahe.
Die Umwelt ist wichtig und wir müssen diese erhalten und schützen – die Methoden dürften gerne etwas intelligenter sein.
Wir brauchen die Welt zum Leben. Der Welt selber ist es egal, wenn wir unseren eigenen Lebensraum zerstören.
Also retten ja, aber nicht kontraproduktiv und als Straftäter.
So offen wie ich diese Szene kennengelernt habe, wird dieser Kommentar, weil unbequem, sowieso gelöscht. Wie gesagt, nur eine Meinung zählt und alle anderen sind böse – sehr intelligent!
subtilus
28. Februar 2021 — 16:36
Hallo Peter Hansen,
unbequem sind wir selbst gerne, und das Recht auf freie Meinungsäußerung ist eine unschätzbar wertvolle Errungenschaft unserer Gesellschaft. Wenngleich – wie Sie schon richtig bemerken – keine*r einen Anspruch auf die unbedingte Ausübung dieses Rechts auf einem privaten Server oder jedem Raum hat, und damit rechnen muss, dass ein Kommentar entweder gelöscht oder der*die Urheber*in des Hauses verwiesen wird.
Sie benutzen das Wort Realitätsverlust zweimal. Dies möchten wir zum Anlass nehmen, Ihren Kommentar aus unserer Perspektive zu spiegeln.
—-
Es ist ziemlich unschön zu lesen, welchen Realitätsverlust manche Menschen haben. Hier prügeln FDP, CDU und JaRa Immobilien gegen massiven Widerstand und fundierte Argumente ein Projekt zur Profitmaximierung ihrer Stakeholder durch und sind dann auch noch empört, wenn man dieses dort nicht haben will und blockiert.
Natürlich ist es gut, sich für Stadtentwicklung einzusetzen, nur sollte man dabei nicht jegliche Skrupel über Bord werfen.
Hier sind die Betroffenen durch alle (ihnen bis dahin gewährten) Instanzen gegangen und haben am Ende nur die Rückmeldung erhalten: „Ihre Stellungnahme wird zur Kenntnis genommen“. Wer wäre schon begeistert, wenn fremde Investoren das eigene Grundstück auf dem Hang sowie das Leben zukünftiger Generationen gefährden und hier offensichtlich schnell unter Realitätsverlust leiden. Hier werden Straftaten begangen und angestiftet und das ist in Ordnung – nur alle anderen sind böse.
Was damit erreicht wird zeigt sich schon in anderen Bereichen. Hier wird gar nicht erst dem gemeinen Pöbel eine Demokratie-Simulation vorgegaukelt, nein, hier werden Wälder einfach mal so abgeholzt um Raum für „Neues“ zu schaffen. So muss man keine Angst vor Aktivist*innen haben, die sich mit ihren Körpern der voreiligen Schaffung von Fakten entgegenstellen. Aber wehe, das Ende der Rodungssaison rückt nahe.
Diese Stadt ist uns wichtig und wir müssen diese entwickeln und schützen – die Methoden dürften gerne etwas intelligenter sein.
Wir brauchen die Welt zum Leben. Der Welt selber ist es egal, wenn wir unseren eigenen Lebensraum zerstören.
Wer hier die eigentlichen „Straftäter*innen“ sind, das bewerten zurzeit Staatsanwaltschaft und Gerichte – aber in letzter Instanz Ihre und unsere Kinder und Kindeskinder, denen eine tote Welt voller Beton & Asphalt hinterlassen wird.
So, wie wir Ihre Szene kennengelernt haben, wird dieser Kommentar auf Ihren Kommentar, weil wahr, sowieso nicht richtig verstanden.
—
Daher möchten wir Ihnen abschließend – als Versuch, dem entgegenzuwirken – die Worte von Julia Hill anheim stellen: