Mittwochnachmittag. Kiel. Regen. Als wär’ das nicht schon ungemütlich genug, stehen wir auch noch vor der JVA. Na klar, nicht zufällig, sondern, weil wir gegen Knäste demonstrieren. Und nen ganz konkreten Anlass hat das auch (auch wenn ja jede inhaftierte Person schon genug Anlass wäre, gegen das System des Einsperrens zu demonstrieren). Nämlich Ordnungshaft für I.

Die hatte vor anderthalb Jahren in einem Strafprozess wegen der Flensburger Bahnhofswaldbesetzung irgendwas gemacht, was die Richterin als ungebührlich empfand. Das verhängte Ordnungsgeld zahlte I nicht und so kam nun also eine Ladung zu drei Tagen Ordnungshaft. Wie dort angegeben begab sich I zur JVA Kiel. Dort wurde ihr zunächst jedoch mit dem Verweis darauf, dass es ja ein Männerknast sei, die Aufnahme verweigert. Sie müsse nach Lübeck fahren oder mit der Ladung zur Polizei gehen. I widersprach und verwies auf die sehr eindeutigen Formulierungen in der Ladung, Aber das half nicht. Also ab zur Polizei, der Weg war kurz, denn die Polizei war wegen der Kundgebung ohnehin vor Ort. Die wiederum befand sich nicht für zuständig und nach etwas Rumtelefoniererei kam eine Angestellte der JVA raus und I wurde gegen 15.00 Uhr doch noch in Kiel aufgenommen, von wo sie in die JVA Lübeck weiterverbracht werden wird. Voraussichtlich zwischen 14 und 15 Uhr wird sie am Samstag dann in Lübeck entlassen werden.
Wir dokumentieren hier mehrere auf der Kundgebung gehaltene Redebeiträge:
Rede von I
Dazwischen geredet – und ab in den Knast
Von einem feudalen System, in welchem ein Herrscher bestimmt, was die Untertanen zu tun haben und diese willkürlich bestrafen kann, sind wir mittlerweile weit entfernt – zumindest in der Wahrnehmung der meisten Menschen in der BRD. Es gibt jedoch Orte, an denen die Zustände noch ziemlich ähnlich sind, beispielsweise in Gerichtssälen. Der*die Richter*in bestimmt den Ablauf des Verfahrens, wer wann reden darf und wer wann zu schweigen hat. Es gibt zwar theoretisch Regeln, um die Rechte von Beschuldigten zu wahren (zum Beispiel dass sie was zur Sache sagen dürfen oder schweigen dürfen oder auch Anträge stellen können). Praktisch werden diese Gesetze von Gerichten jedoch reihenweise verletzt, so ist meine Erfahrung aus zahlreichen Gerichtsprozessen. Und wer sich dann darüber beschwert, fliegt raus, soll zahlen oder wird eingesperrt. Oft genug auch direkt aus dem Gerichtsprozess ohne dazu angehört zu werden oder sich dagegen wehren zu können.
Richter*innen wird eine Menge Entscheidungsgewalt über das Leben von Menschen eingeräumt. Sie entscheiden darüber, ob Menschen Geld bezahlen sollen, ob Mietverträge gekündigt werden dürfen oder direkt über die Freiheit von Menschen, denen Straftaten vorgeworfen werden. Auf die Entscheidung von Richter*innen hin werden Menschen in Knäste gesperrt. Wenn Menschen der Auftrag gegeben wird, Gewalt auszuüben, gewöhnen sie sich daran, das auch zu tun. Das sehen wir alltäglich bei der Polizei, beim Jobcenter aber ebenso im Gericht. Richter*innen sind sehr wenig Widerspruch gewohnt, da für gewöhnlich versucht wird sie durch Unterwürfigkeit freundlich zu stimmen um die Strafe gering bleiben zu lassen. Trifft ein*e solche Richter*in mit dieser Erwartungshaltung dann auf Anarchist*innen welche das Gericht schon prinzipiell nicht anerkennen und sich weigern Respekt zu bekunden, beispielsweise durch aufstehen, eskaliert das ziemlich oft. In manchen Fällen entscheiden sich Richter*innen aus Pragmatismus oder weil Sie sich selbst nicht für das Wichtigste in der Welt halten dann dafür das zu tolerieren. In anderen Fällen endet es – für diejenigen, die widersprechen – mit Rauswurf, Ordnungsgeld oder im Knast.
Ein solcher Vorgang ist es auch, warum ich jetzt kurz in den Knast muss. Ende 2023: Meine Freundin Hanna wurde angeklagt wegen Protesten gegen die geplante Zerstörung des Flensburger Bahnhofswalds. Im Gericht gab es natürlich wieder zahlreiche Kontrollen, über die gestritten wurde, am Ende definierte die Richterin den Übergang von einem Parkplatz zum Wald und einen Zaun der mehr Lücken als Zaun hatte als Umfriedung eines Geländes um verurteilen zu können. Rechtswidrige Bebauungspläne und rechtswidrige Abholzungen waren kein Hinderungsgrund. In genau diesem Prozess verweigerte die Richterin meiner Wahrnehmung nach mal wieder irgendwelche Angeklagtenrechte – weshalb ich mit einem Kommmentar intervenierte, vielleicht auch mehrfach, genau erinnere ich mich nicht an die Situation, weil diese Situationen in fast jedem Prozess auftauchen, weil sich Gerichte nur sehr selten tatsächlich an die Formvorschriften halten. Anstatt das zu ändern, verhängte die Richterin ein Ordnungsgeld gegen mich – 150 € – ersatzweise 3 Tage Haft. Diese 3 Tage stehen jetzt an.
Zum Verständnis: Ich habe diese Vorschriften nicht gemacht, sie mir nicht ausgesucht, sie nicht akzeptiert, aber im Gerichtssaal sind sie eben ein Mittel, mit dem wir kämpfen, weil wir die Mittel nutzen, die wir haben. Das gilt auch dann, wenn es nicht die sind, die wir uns ausgesucht hätten. Ich bemühe mich in meinem Leben, Konflikte anders zu lösen (so anstrengend es sein mag) und würde mir wünschen, dass wir Gerichte so überflüssig machen. Ein Ansatz kann sein alle Beteiligten mit deren Interessen zu hören und zu versuchen, einen Interessensausgleich zu finden, mit dem alle Leben können – im Fall vom Bahnhofswald auch unter Einbeziehung der Interessen der dort lebenden Tiere und der Umwelt. Das ist nur leider in dieser Welt nicht vorgesehen.
Ich weigere mich aber dafür zu zahlen, dass ich eine Richterin nicht respektiert habe, die nicht mal Respekt für die Gesetze hat, die sie doch angeblich vertritt. Wenn der Staat hier der Meinung ist, dass eine Tat wie das dazwischen reden im Gericht tatsächlich bestraft gehört, nun dann muss er es auch in letzter Konsequenz tun – und mich dafür einsperren. Auf dass die Absurdität dessen deutlich wird, wer und wofür hier bestraft wird.
Das lässt sich natürlich auch direkt daran sehen, dass erst letzte Woche Hanna wegen dem Urteil zum Bahnhofswald aus einer 7-tätigen Ersatzfreiheitsstrafe frei kam. Sie wurde verurteilt wegen der Besetzung des Bahnhofswaldes, all diejenigen welche das Hotel-Parkhaus-Bau-Projekt initiierten nicht, genauso wenig wie diejenigen, die in einem Akt der Selbstjustiz Bäume ansägten, auf denen sich Menschen befanden. Es geht hier also weniger um Recht oder Gerechtigkeit als darum, wer Macht hat und dass die Macht der Herrschenden, sei es durch staatliche oder durch finanzielle Autorität, geschützt wird.
Haftladungen kommen leider nicht immer dann, wann es passt. Es ist schon unverschämt, dass der Staat sich anderthalb Jahre Zeit lässt, mir dann aber nur eine Woche einräumt, um dort aufzutauchen. Viel lieber wäre ich nämlich bei den Bauwochen in der Meierei und würde da basteln, um gemeinsam einen Ort für unkommerzielle Kultur zu erhalten. Wenn ihr mich also unterstützen wollt, helft gern da mit (immer um 9 Uhr gibt es ein Check-In was an dem Tag zu tun ist) – denn Briefe schreiben lohnt sich für 3 Tage wohl nicht. Oder schreibt anderen Gefangenen, die länger sitzen (Verschiedene Listen mit Adressen findet ihr hier: https://subtilus.info/2025/07/25/haftentlassung-von-hanna/) und vor allem: Vergesst die Menschen in den Knästen nicht, schaut hin, was hinter Gefängnismauern und in Gerichtsgebäuden passiert.
Bis alle frei sind!

Rede von Hanna
Vor nichtmal einer Woche habe ich eine solche widerliche Institution verlassen und nun stehe ich wieder davor. Ich war nicht in dieser JVA, sondern in Bielefeld. Dort habe ich mir, ihr könnt es noch sehen, die Fingernägel lackiert mit dem Nagellack einer Mitgefangenen. Sie ist noch immer dort inhaftiert, so wie viele andere Frauen auch. Frauen, die viel länger als wir eingesperrt sind und nicht das Privileg haben, sich freikaufen zu können.
Was soll ich sagen, was nicht schon gesagt wurde? Ihr wisst es doch selber: Strafe löst keine Probleme, sie erschafft allenfalls neue. Das wusste auch schon Kurt Tucholsky, der vor rund 100 Jahren formulierte:
Doch kann kein Mensch den andern bestrafen, er kann ihn nur
quälen.
Denn Schuld und Strafe kommen niemals zusammen.
„Die Gefangenen“ heißt das Gedicht in dem Tucholsky auch schreibt:
Der Mensch, der da richtet, erbarmt sich nicht.
Man müsste ihn quälen, wiederum,
und wiederum wäre nichts damit getan.
Was Tucholsky damit sagen will – jedenfalls verstehe ich ihn so – ist, dass es uns gelingen möge, Rachegelüste zu überwinden und ganz anders miteinander umzugehen.
Und doch fehlt der abstrakten Knastkritik (sei sie noch so radikal, also klar in der Forderung Knäste ganz abzuschaffen) oft ein Begreifen der subtilen Grausamkeit. Getreu dem Motto „Bullenwagen klaun und Adorno rezitieren“ möchte ich daher auffordern, eure Theorie zur Praxis zu machen. Damit meine ich in diesem Fall nicht, handfest Knäste in Pommesbuden und Fenstergitter in Grillroste umzuwandeln (was natürlich auch richtig wäre), sondern euch auch einsperren zu lassen. Was wäre besser geeignet, um einen Kurzausflug in den Knast zu machen, als ein nicht gezahltes Buß- oder Ordnungsgeld? Und an Prozessen in denen sich die jeweils Angeklagten freuen, wenn den Richtenden deutlich widersprochen wird, gibt es nun wahrlich keinen Mangel. Und so ende ich mit einem Dank an I, denn schließlich war es meine Verhandlung in der sie intervenierte. Macht es ihr nach!
Grußwort von Ende Gelände Flensburg
Hallo liebe Mitstreiter*innen, solidarische Menschen und vor allem Hallo I.,
wir von Ende Gelände Flensburg wollen gerne ein paar Worte an euch alle richten!
I. muss in Ordnungshaft, weil eine Richterin bei einem Gerichtsverfahren in Flensburg vor mittlerweile über einem Jahr nicht zulassen wollte, dass ihr Handeln aus dem Publikum kritisiert wird. Diese harte, völlig unverhältnismäßige Strafe reiht sich ein in eine Reihe von Repressionen durch Flensburger Gerichte gegen Klimaaktivistinnen. Während vor über zwei Jahren das Flensburger Gericht noch bundesweit Schlagzeilen machte, weil es mit als erstes Gericht in der BRD ein Baumbeschützer aufgrund des rechtfertigenden Notstandes durch die Klimakrise freisprach (leider wurde das Urteil später vom Oberlandesgericht wieder gekippt), ist von dieser „Progressivität“ mittlerweile nichts mehr zu spüren. Ganz im Gegenteil: Erst vor wenigen Tagen ist eine Person wieder aus dem Knast rausgekommen, weil sie im Rahmen der Bahnhofswaldbesetzung in Flensburg zu einer Geldstrafe verurteilt wurde und sich weigerte diese zu zahlen. Und wenige Wochen zuvor wurden in Flensburg zwei Klimaaktivistinnen aufgrund des Vorwurfs der Sachbeschädigung wegen einer Sprühkreide Aktion zu 25 Tagessätzen verurteilt. Bei diesem Prozess erwartete die solidarischen Zuschauer*innen eine seitenlange sitzungspolizeiliche Anordnung, welche völlig unverhätnismässig ist für einen Prozess, in dem es um Sprühkreide ging. Die Botschaft dahinter ist klar: mit allen Mitteln wird versucht jegliche Kritik aus dem Gericht fernzuhalten, eine kritische Prozessbegleitung wird so unbequem wie möglich gemacht und wer wagt, die’s zu hinterfragen muss mit noch härteren Strafen rechnen, so wie I., die jetzt dafür in den Knast muss.
Für uns ist klar: Gerichte schaffen keine Gerechtigkeit und darüber täuschen auch keine einzelnen progressiven Urteile hinweg. Gerichte erhalten den gewaltvollen, kapitalistischen Status Quo aufrecht und sobald dieser hinterfragt wird, greifen Repressionen.
Menschen, die sich für ein gutes Leben für alle einsetzen, abseits von Herrschaft und kapitalistischer Verwertungslogik, werden kriminalisiert oder weggesperrt. Menschen werden in Armut gedrängt, strukturell diskriminiert oder isoliert und ihr Protest wird kriminalisiert.
Doch unsere Solidarität ist stärker als jede Knastmauer und wir stehen an der Seite von allen Menschen, die sich durch diese Repressionen nicht zum Schweigen bringen lassen. Liebe I. wir wünschen dir ganz viel Kraft und Stärke im Knast, auf dass du dich auch im Knast nicht unterkriegen lässt! Wir warten draußen auf dich, jederzeit bereit mit dir zusammen die (Flensburger) Gerichte weiter lautstark zu kritisieren!
Kämpferische und solidarische Grüße,
Ende Gelände Flensburg