Abläufe vor Gericht zu verstehen ist mitunter kompliziert. So war es auch am zweiten Verhandlungstag im aktuellen Bahnhofswaldverfahren wegen Hausfriedensbruchs. So wurde beispielsweise bereits am ersten Verhandlungstag die Aufhebung der Einlasskontrollen beantragt. Zentraler Grund: Die Einlassverfügung ist unbegründet und das geht nach herrschender Rechtsprechung nicht. Statt nun dem Antrag einfach stattzugeben, die bestehende Verfügung aufzuheben und eine neue, begründete, zu erlassen, entschied sich Richterin Zander den Antrag abzulehnen, die unbegründete Einlassverfügung aufrecht zu erhalten, schob dann jedoch die geforderte Begründung in ihrer Antragsablehnung gleich nach. So wurde nun klar, dass angebliche Störungen und angekündigte Demos(!) bei anderen Verfahren aus dem „Komplex Bahnhofswald“ dafür herhalten müssen, dass im Hochsicherheitssaal verhandelt werden müsse. Nun bestand also weiterhin eine unbegründete Verfügung, deren Aufhebung begründet abgelehnt wurde. Verstehe wer wolle.
Die Richterin verzichtete, anders als am ersten Tag, am zweiten Tag auf Ermahnungen des Publikums wegen jedes kleinen Lachers. Doch der shz, der darauf am ersten Tag den Fokus der Berichterstattung legte ( in deutlichem Kontrast zur inhaltlich berichtenden avis) war am zweiten Tag einfach garnicht da (auch im Gegensatz zur avis).
Inhaltlich war der zweite Verhandlungstag am 13.12. nach dem Vorführen eines kurzen Videos (auf dem deutlich zu sehen war, dass keinerlei Zäune überklettert werden mussten und im Gegenteil das Gelände von Süden frei zugänglich war) von verschiedenen Beweisanträgen geprägt.
So wurde in einem Beweisantrag dargelegt, dass die Stadt Flensburg die Akten zum Hotelneubau gezielt unter Verschluss hielt und daher Widerspruch und Klage durch den BUND verhinderte. Das ist besonders relevant, weil das OLG einen ergangenen Freispruch mit der Begründung aufgehoben hatte, eine Baumbesetzung sei nicht das mildeste mögliche Mittel gegen die Baumfällungen, weil es ja noch eine Klage eines Umweltverbandes geben könne. Eine freche Argumentation, denn nur sehr wenige Verbände sind klagebefugt, Einzelpersonen sind es nicht. Im konkreten Fall ist es aber doppelt frech das zu behaupten, denn Klage war wegen des gezielten Unter-Verschluss-Haltens der Unterlagen durch die Stadt (natürlich auf expliziten Wunsch der Investoren) gar nicht möglich.
Ein weiterer Beweisantrag legte dar, dass andernorts Baumhäuser als ganz legale Ausdrucksmittel von Versammlungen betrachtet wurden und in wieder weiteren Anträgen wurde belegt, dass die Baumbesetzung alle notwendigen Merkmale einer Versammlung erfüllte. Insbesondere vor dem Hintergrund dass der Polizeizeuge Petersen am ersten Verhandlungstag explizit betonte, die Aktion als Versammlung eingestuft zu haben und das den Aktivist*innen auch mitgeteilt zu haben, ist offensichtlich, dass es eine juristisch saubere Verurteilung hier nicht geben kann. Was aber natürlich nicht bedeutet, dass es nicht dennoch zu einer Verurteilung kommen wird.
Ein großer inhaltlicher Schwerpunkt lag auch auf den verschiedenen Vorwänden mit denen die Stadt Flensburg versuchte, gegen die Besetzung vorzugehen. Im Detail wurde nachgezeichnet, wie Baurecht und Fledermausschutz gezielt missbraucht wurden, um Vorwände gegen die Aktivist*innen zu kreieren.
Und schließlich wurde noch ein Beweisantrag verlesen, der sich mit den unterbliebenen Ermittlungen gegen die Baumfäller beschäftigte. Darin wurde dargelegt, dass laut Aussage von Herrn Duschkewitz die Aufforderung, „die Sache selbst in die Hand zu nehmen“ direkt aus dem Rathaus kam: Von Herrn Teschendorf und Frau Eichmeier. Außerdem zeichnete der Beweisantrag den Gang der polizeilichen Ermittlungen bzw Nicht-Ermittlungen gegen die Baumfäller nach. Obwohl diese sich beim Fällen und Ansägen explizit weigerten, polizeilichen Aufforderungen Folge zu leisten, wurden vor Ort keinerlei Personalien von ihnen aufgenommen. Weder Herr Duschkewitz noch die zwei Angestellten der Firma Christiansen, die vor Ort waren und sehr wahrscheinlich die waren, die den Baum ansägten auf dem sich eine Person befand, wurden je als Zeugen vernommen.
Obwohl eigentlich Mündlichkeits- und Öffentlichkeitsgrundsatz von Verhandlungen gilt, entschied die Richterin sich nach etwas mehr als einer Stunde vorgelesenen Beweisanträgen dazu, für künftige Beweisanträge das Selbstleseverfahren anzuordnen. Das bedeutet, dass das Publikum überhaupt nicht mehr mitbekommt, was warum beantragt wird, weil alles schriftlich eingereicht wird. Eine Regelung, die eigentlich für umfangreiche Verfahren gedacht ist, in letzter Zeit aber oft, insbesondere von Amtsgerichten, genutzt wird, um in politischen Prozessen das Verfahren zu beschleunigen und Prozesse zu entpolitisieren. Die Angeklagte beanstandete das Vorgehen und nachdem diese Rüge zurückgewiesen wurde, stellte sie einen Befangenheitsantrag gegen die Richterin.
Das Verfahren wurde daraufhin vertagt. Auf einen bereits gebuchten Auslandsaufenthalt der Angeklagten nahm das Gericht dabei bisher keine Rücksicht und so geht es möglicherweise ohne sie am 22.12. weiter. Wir bleiben gespannt.