Gegenöffentlichkeit in Flensburg

Kommentar zum „Antifa-Video“ von Boris Reitschuster

Seit Wochen erleben wir, dass sich die Teilnehmenden rechtsoffener coronaverharmlosender verschwörungsaffiner Demos als antifaschistisch bezeichnen und „Nazis raus“ rufen, obwohl bei ihnen Menschen mitlaufen, die erklären, die Juden seien am Holocaust selber schuld. Neuestes Highlight aus dieser absurden Umkehrlogik ist ein Video des Bloggers Boris Reitschuster, der leider über 180000 Abonennt*innen auf youtube und über 100000 bei telegram sowie 70000 auf twitter hat.

Wir haben uns das Video „Wer ist hier Faschist? „Antifa alt“ gegen „Antifa neu“: Bizarre Szenen auf der Corona-Demo in Berlin“ unter https://www.youtube.com/watch?v=sl1n7GS0fMs mal angeguckt, damit ihr euch das nicht antun müsst.

Was der erste interviewte Mann macht ist auf vielfachen Ebenen diskriminierend und entlarvend. Er bezeichnet die gegendemonstrierenden Antifas als „Kinder“, als „unterwandert“, stellt sie als Menschen die „wissen gar nicht wofür sie instrumentalisiert werden“ dar. Damit spricht er ihnen die Entscheidungsfähigkeit ab, über eigene Handlungen und Positionen bestimmen zu können und weigert sich so, sie auf inhaltlicher Ebene mit ihrer Kritik ernst zu nehmen.
Er sagt, er würde sich Skinheads entgegen stellen und wäre ein Linker. Dabei verkennt er, dass die Rechte sich gewandelt hat. Nazis tauchen nur noch sehr selten mit Skinhead auf, sie geben sich eher als freundliche Nachbarn, ökologische Siedler*innen oder besorgte Bürger.

Eine weiterer interviewter Mensch trägt ein Transparent, dass hier keine Bühne für Pegida und AfD wäre. Auf Nachfrage, sagt er, dass es nicht um die Inhalte der AfD gehe, „Es mag sein, dass einige AfD-Anhänger hier drunter sind, aber darum geht es nicht.“ – es ist also so, dass AfD-Anhänger*innen zumindest toleriert werden auf der Demo. Die Parole, es gehe nicht um die Inhalte, greift zu kurz, weil es vielleicht tatsächlich vordergründig nicht um die Inhalte der AfD geht, aber AfD-Menschen ermöglicht wird, mitzulaufen, sich als ganz normale Partei darzustellen. Und eben diese Akzeptanz, dass die AfD sich als normal darstellen kann, als Teil einer Bewegung, ist das, was gefährlich ist. Denn wenn Parteien normal sind, in denen Leute fordern, Menschen an der Grenze zu erschießen, ist definitiv irgendwas nicht normal, sondern ganz und gar verkehrt.

Dass große Medien keine Aufmerksamkeit mehr geben ist ebenfalls falsch. So wurde über die letzte Demo in Kiel am Samstag 13.3.2021 im NDR Schleswig-Holstein-Magazin berichtet, was von wirklich vielen Menschen gesehen wird. Dort wurde lang und breit den Demonstrierenden eine Bühne geboten zu erklären, warum sie demonstrieren. Keine einzige Gegendemonstrant*in wurde für den Beitrag interviewt.

Die nächsten Sachen, die er erzählt sind entlarvend. In einer „Widerstandsbewegung“ fänden an den Rändern Rangeleien statt. „Aber man hat schon auch gesehen, dass Bewegung starke bürgerliche Basis hat.“ Diese bürgerliche Basis wäre „imprägniert“ gegenüber Rechten und Rechtsradikalen. Das eben die bürgerliche Mitte auch rechtes Gedankengut verinnerlicht hat, zeigen jährlich die sogenannten Mitte-Studien, die Menschen nach ihren Positionen befragen und immer wieder feststellen, dass Antisemitismus, Rassismus und rechte Positionen bis weit in die Mitte der Gesellschaft vertreten werden. Wer glaubt, imprägniert zu sein für rechte Positionen, hindert sich selbst daran, eben diese im direkten Umfeld zu erkennen. Unabhängig davon ob sich die Person selbst als links bezeichnet.

Es folgt ein Gespräch aus dem Off, vermutlich von den Filmenden, die sich darüber unterhalten, dass es was völlig neues wäre, dass die Antifa für eine konservative Regierung ist. Dass das nicht der Fall ist, lässt sich einfach belegen, durch zahlreiche Kritik von Seiten antifaschistischer Gruppen an der Regierung im Bezug auf die Abschiebungen und Abschottung vor Geflüchteten, welche die Regierung durchführt. Die Behauptung ist offensichtlich nicht richtig. Aber diese Realität passt nicht ins Bild. Die bösen sind die Regierung und die Antifa. Also müssen sie zusammenarbeiten. Dass Antifaschist*innen ständig von der Polizei, also der Vertretung des Staates, verprügelt werden, auch um den Corona-Verharmloser*innen den Weg frei zu machen, passt nicht ins Bild, wird also auch einfach verschwiegen.

Fast schon witzig ist dann die Erklärung für die Zusammenarbeit: „Professionelle PR-Think-Tanks, die schon seit Jahrzehnten aufgebaut werden“ und über „Identitätspolitik und Sensititvätspolitik“ reinmanövriert wurden um die Antifaschist*innen abzurichten, die dann zu naiv sind, um zu erkennen, dass sie manipuliert werden. Hier zeigt sich das rechte Gedankengut der Filmenden: Die Leute können nicht selbst denken, sondern werden von irgendwelchen Hintergrundstrukturen manipuliert – ein klassisches Muster von Verschwörungserzählungen und ein großes Problem, denn gerade dieses Verschieben auf Hintergrundstrukturen ist das was beim Antisemitismus passiert. Schnell sind dann tatsächlich Menschen dabei, alles würde von einer (jüdischen) Weltverschwörung gesteuert. Welche Gruppe hier als Schuldige gebrandmarkt wird, ist unterschiedlich, aber das Prinzip ist das gleiche und genau das was zur Verfolgung Andersdenkender führt: Eine kleine Gruppe hat sich gegen „uns“ verschworen und wir müssen im „Widerstand“ zurück schlagen. Die im Kommentar enthaltene rechte Position wird auch in der impliziten Verdammung von Identitätspolitik und Sensitivitätspolitik deutlich. Das spielt an auf die von Linken erreichte bessere (wenn auch noch nicht gute) Wahrnehmung und auch Bezeichnung von Frauen, Homosexuellen, Transgender und vielen mehr und eben dem geäußerten Verlangen, darauf Rücksicht zu nehmen. Eben das stört Rechte, die dann von Genderwahn oder eben Identitäts- oder Sensitivitätspolitik sprechen, genau wie hier die Filmenden.

Anschließend geht es dann mal wieder um den Mythos, „Antifas“ seien vom Staat bezahlt. Damit haben wir uns an anderer Stelle schon beschäftigt und belassen es daher bei folgendem Link: https://subtilus.info/grundrechte-demos/inhaltliche-kritik/demogeld-fuer-die-antifa/

Im letzten Drittel des Videos geht es darum, wie die Polizei mit den Leuten umgeht. Das ist nicht cool, aber leider Alltag in der BRD. Die Beschwerden darüber zeigen vor allem, dass bisher die Menschen, die jetzt wegen der Maskenpflicht kontrolliert werden, in ihrem Alltag nicht sonderlich viel Stress mit der Polizei hatten und von dieser nicht rassistisch oder anderweitig diskriminiert wurden. Sie waren offenkundig bisher nicht alltäglich solchen Kontrollen und Schikanen ausgesetzt und sind dafür deswegen blind.

Unser Fazit (wen wundert’s …?): Nur weil Schwurbler irgendwo Antifa draufschreiben, ist es noch lange nicht drin. Simple schwarz-weiß-Logiken helfen nicht beim Verstehen einer komplexen Welt mit komplexen Herrschaftsverhältnissen. Und wer Geld von AfD-nahen Menschen nimmt, ist aus unserer Sicht ohnehin herausragend unqualifiziert über Antifaschismus zu berichten und dabei zu verlangen, ernst genommen zu werden.

Ein lesenswerter Artikel zu Reitschuster, wie er Geld von AfD nahen Demonstrierenden annimmt:
https://www.volksverpetzer.de/bericht/reitschuster-geld-von-rechten/

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