Am 22.08.2020 veranstaltete die Initiative „Flensburg für Grundrechte“ das „Fest für Frieden und Freiheit“ an der Hafenspitze. Dieses Mal mobilisierten sie dafür in ganz Norddeutschland und bewarben vorab, innerhalb der Verschwörungsideologischen – Szene prominente Redner und Musiker*innen wie den Rechtsanwalt Markus Haintz oder das Gesangsduo „Ziemlich anders“.
Das Ergebnis an diesem Samstagnachmittag waren zu Hochzeiten ca. 250 Teilnehmer*innen.
Parallel dazu fanden sich ca 100 Gegenprotestler*innen an der Hafenspitze ein, die unter dem Motto: „Abstand halten – zu Antisemiten und Querfront“ gegen das Fest der Verschwörungsideolog*innen demonstrierten.
Neben einem Infostand mit Flyern und Materialien, gab es immer wieder Redebeiträge, die inhaltlich das sogenannte „Freiheitsfest“ kritisierten, da es ein Sammelbecken für Verschwörungsmythen, Antisemitismus und gefährliche Virusverharmlosung ist.
So wurde beispielsweise die Behauptung von einigen Leuten von „Flensburg für Grundrechte“, es seien auf deren Demos keine Antisemiten und Nazis anwesend, widerlegt. Denn abgesehen davon, dass auf einigen Veranstaltungen, AfD-PolitikerInnen anwesend waren oder antisemitische Symbole getragen wurden, tragen alle Teilnehmer*innen dazu bei, bewusst und teilweise unbewusst, rechtes und rechtsoffenes Gedankengut zu verbreiten und eine Anschlussfähigkeit für Rechte zu bieten. Sie bilden somit eine Gruppe an Menschen, welche antisemitische und rechte Propaganda verharmlosen und legitimieren.
(Ein genauerer Flyer hierzu: https://subtilus.info/Dokumente/naziflyer_fl_a5.pdf)
Direkt an dem mit Flatterband umzäunten Gelände, auf dem die Veranstaltung der Verschwörungsideolog*innen stattfand, befanden sich auch immer Gegendemonstrant*innen, die mit Transparenten, Sprechchören und Zwischenrufen die Veranstaltung störten. Sogar von einem kleine Boot auf der Förde wurde ein Transparent gezeigt und zwei Aktivist*innen kletterten auf die an der Hafenspitze stehende Litfaßsäule und kommentierten, störten und kritisierten mit einem Megafon das bemüht harmlos wirken wollende Fest. „Flensburg für Grundrechte“ schien das merklich zu stören, denn die geladenen Redner*innen auf der Bühne nahmen immer wieder Bezug auf die Gegenprotestler*innen.
Die Welt umarmt sich?
Im Verlauf des Nachmittag, kam es auch zu einem körperlichen Übergriff von Seiten der Verschwörungsideolog*innen auf einen der Gegendemonstranten. In einem abgegrenzten Bereich der Veranstaltung befand sich eine große Herzskulptur („Die Welt umarmt sich“ von Christian Dwenger), an der Flyer dieser Initiative hingen. Ein jugendlicher Gegendemonstrant wollte sich die Flyer anschauen und mitnehmen, daraufhin wurde er von einem männlichen Teilnehmer von „Flensburg für Grundrechte“ an den Haaren gerissen und dann mit dem Kopf gegen das Herz geschlagen.
„Ziemlich anders“
Das „Fest für Frieden und Freiheit“ wurde musikalisch begleitet von dem Duo „Ziemlich anders“. Zu sehr eingängigen Melodien singen die beiden genau das, was auf diesen Demos gut ankommt. In einem ihrer Songs singen sie: „Die Spritze aus der Gates-Fabrik bringt und das Leben schnell zurück. Unsre Gene springen dann auf 5G-Impulse an.“ Damit bedienen sie – ganz typisch durch Andeutungen und dadurch schwer fassbar – gleich mehrere der Erzählungen, die in den letzten Monaten unter Verschwörungsideolog*innen Hochkonjunktur haben: Bill Gates stecke irgendwie aus Profitgründen hinter Corona und der Mobilfunkstandart 5G sei der wahre Grund für die Toten.
In einem weiteren Lied bezeichnen sie sich und die Proteste als „die große zweite Welle“. Ein ganz neuer Song, der in Flensburg auf der Demo jedoch noch nicht gespielt wurde, spricht von einer „Pandemedia“ und davon, das Duo werde als „Verschwörungstheoretiker diffamiert“. Im gleichen Song geht es dann um die „Eliten“, die sich was ausgedacht hätten, was „uns zu Marionetten macht“. Aber Corona-Leugner seien sie nicht, das „hängen sie uns an“ und dahinter stecke ihr „Plan“. Wer „sie“ nun genau sind, bleibt wie gewohnt offen.
Markus Fiedler
Ein weiterer Redner auf der Bühne, der im Programm bei „Flensburg für Grundrechte“ vorher nicht beworben wurde, war Markus Fiedler. Auf der Bühne angekündigt, wurde er als „Diplombiologe und Wikipediakritiker“.
Seinen Auftritt begann er mit der Frage, ob Menschen aus dem „linksextremen Lager“ bei dem Fest anwesend seien. Keine Person meldete sich. Daraufhin fragte Fiedler nach anwesenden Personen aus dem rechtsextremen Lager. Und siehe da, eine Person meldete sich und rief „hier“. Fiedler antwortete : „Einer ist da. Das ist in Ordnung!“ Das schien keine Teilnehmer*innen des Festes zu stören. Im Gegenteil. Fiedlers Schlussfolgerung daraus lautete, dass wenn einer aus 200 Teilnehmenden sich als Rechtsradikaler bekennen würde, dann „ist das wesentliche Merkmal dieser Demonstration nicht(!) dass hier Rechtsradikale auf der Demo waren, sondern das wesentliche Merkmal ist, dass solche Leute wie ich und ihr, die aus der Mitte kommen, auf dieser Demo waren. Das ist eine bürgerliche Demonstration!“ Dafür erntete er direkt Applaus. Wie so oft zeigt auch diese Reaktion der Teilnehmer*innen von „Flensburg für Grundrechte“ die (vorsätzliche) Ignoranz und Tolerierung von Rechten auf ihren Veranstaltungen. Fiedler beendete seine Ausführung mit der Behauptung „wir, die aus der Mitte kommen, distanzieren sich natürlich von rechts (korrigiert sich) von rechtsaußen“.
An seiner Aussage ist einiges mehr als fragwürdig. Fiedler bedient sich am Bild der Extremismustheorie, in der die gemäßigte „Mitte“, automatisch alle Werte der freiheitlich-demokratischen Grundordnung vereint. Allein von den „bösen“ Rändern werde sie bedroht, gerne werden Links und Rechts dabei gleichgesetzt, was dazu führt, dass rechte Gewalt verharmlost wird und was es den Leuten, die sich in der angeblichen „Mitte“ verorten, recht bequem macht, da beispielsweise Rassismus und Antisemitismus ja nur oder vor allem am gesellschaftlichen Rand vertreten seien. Gerne nutzen auch Vordenker der „neuen“ Rechten das Modell, um ihre „konservative Revolution“ voranzutreiben und mit dem Thema „Linksextremismus“ stets ein willkommenes Ablenkungsmanöver zur Hand zu haben.
Auch die inhaltsleere Distanzierung von „rechtsaußen“ bleibt ein Lippenbekenntnis., da „Flensburg für Grundrechte“ sich nie glaubwürdig von rechten Inhalten distanziert hat, im Gegenteil diesen eine Plattform bietet und antisemitische Propaganda verharmlost und legitimiert.
( https://subtilus.info/Dokumente/druckvorlage_flyer.pdf )
Überhaupt ist die Verharmlosung und das Verbreiten Rechter und verschwörungsideologischer Inhalte ein großes Thema bei Markus Fiedler.
Er ist Autor verschiedener Artikel die u.a. auf Rubikon News und KenFM veröffentlicht wurden.
Bei KenFM glänzte er beispielsweise im Februar 2018 mit dem Artikel „Der Niedergang der deutschen Leitmedien am Beispiel der Hetzkampagnen zum „Volkslehrer“, in welchem er sich für den, unter dem Namen „Volkslehrer“ bekannten Holocaustrelativierer Nikolai Nerling, stark machte.
Vordergründig verurteilt Fiedler darin zwar Nerlings Holocaustrelativierung, stellt letzteren aber dennoch als Opfer dar, auf den „blindlings und pauschalisierend“ mit der „Nazikeule“ eingedroschen werde, statt sich „sachlich“ mit dessen Inhalten auseinanderzusetzen. Damit ist Fiedler ein Paradebeispiel für gesellschaftlichen Rechtsruck: Die gravierendsten Entgleisungen von rechtsaußen werden zwar verurteilt, allen damit verknüpften Ideologien, solle jedoch gefälligst Raum eingeräumt werden und wegen der Distanzierungen von den schlimmsten Auswüchsen, sei er selbst dann per Definition „die Mitte“.
Fiedler schreibt in dem erwähnten Artikel außerdem, der IS-Terror sei „Produkt westlicher Geheimdienste“.
Das Steckenpferd, mit dem Fiedler bekannt wurde, ist jedoch pauschale, undifferenzierte Kritik am nichtkommerziellen Onlineprojekt Wikipedia.
Auf der Flensburger Bühne erzählt er, er habe angefangen sich mit Wikipedia zu beschäftigen, da er herausgefunden habe, dass dort angeblich massig „Manipulationen“ stattfinden würden, vor allem im „politischen Bereich und Bereiche die mit Geld, Geopolitik und Weltanschauung zu tun haben“.
Er unterstellt, Leute würden dort als „Antisemiten, Rechtsradikale und Verschwörungstheoretiker verunglimpft. Und auch Leute auf die das gar nicht zutrifft. Ich habe das damals an dem Beispiel Daniele Ganser abgehandelt“.
Seine Kritik an Wikipedia leitet Fiedler nämlich hauptsächlich aus seinen Beobachtungen zu Änderungen am Wikipedia Artikel zu Daniele Ganser und eigenen, letztendlich gescheiterten Versuchen der Einflussnahme im Sinne Gansers ab. Ganser ist Historiker und Publizist u.a. ebenfalls bei Rubikon, und auch bei KenFM gab er mehrere Interviews u.a. gemeinsam mit dem Rechtsradikalen Karl-Heinz Hoffmann. Er ist – anders als von Fiedler dargestellt – Verbreiter von diversen Verschwörungserzählungen.
(https://www.sueddeutsche.de/muenchen/einladung-umstrittener-gast-1.3001002
https://de.wikipedia.org/wiki/Daniele_Ganser )
Fiedlers Vorstellungen von den dunklen Umtrieben der Wikipedia, beschäftigten ihn so sehr, dass er gleich zwei Filme darüber produzierte. „Wer macht denn das in der Wikipedia? Wer bringt den unbescholtenen Bürger Daniele Ganser mit Antisemitismus, Rechtsradikalismus und sogar Holocaustleugnung in Verbindung, obwohl das gar nichts mit ihm zu tun hat?“ Fiedler hat auch schon die Antwort aus seiner Recherche parat: „da stellte sich heraus, das sind Leute aus dem linksextremistischen Lager!“ Fiedler behauptet also, dass die Onlineenzyklopädie Wikipedia von „Linksextremisten“ kontrolliert wird oder unterwandert sei. In einem Interview mit KenFM dazu behauptete er auch, dass der Staat Israel und die USA dort inhaltlichen Einfluss auf die Artikel und auf deren Veröffentlichung nehmen würden.
Besonders wichtig ist es Fiedler, darauf zu achten, das „linksextremistisch“ in Anführungszeichen zu setzen, weil es in Wirklichkeit keine solchen „Linksextremistischen“ Menschen seien „das kann man überall beim Landesverfassungsschutz nachlesen“.
Und schon ist er bei seinem anderen Lieblingsthema, „der Antifa“, bzw. wie es bei Markus Fiedler heißt, der „Transatlantifa“, gelandet. Denn er hat beim niedersächsischen Verfassungsschutz eine Seite gefunden, die Informationen zum Thema „Antideutsche“ bereit halten würde.
„Antideutsche tun so als ob sie Antifa wären, sie sind es aber nicht, sie sind Rechtsradikale. Es ist ein Etikettenschwindel“ weiß Fiedler zu berichten. „Leute aus der antideutschen Bewegung, wir haben sie besser genannt Transatlantifa, weil sie immer das befürworten und das unterstützen was aus dem transatlantischen Bündnis kommt.“
Fiedler schwadroniert, dass die anwesenden Gegendemonstranten nur „Gedankengänge von irgendwelchen Leuten“ übernehmen würden und sehen müssten das „hier (..) gar keine Rechten“ auf dem Platz wären. Er ist der festen Überzeugung, dass irgendwer dahinter stecken würde.
Dass Menschen es schlichtweg gefährlich und falsch finden, wenn rechte Inhalte hofiert und nicht hinterfragt werden oder komplexe, gesellschaftliche Zusammenhänge auf vereinfachtes Schwarz-Weiß-Denken und scheinbar harmlos daher kommende rhetorische Fragen runtergebrochen werden – das ignoriert Markus Fielder bewusst.
„Wenn ihr jetzt seht, hier sind gar keine Rechten, dann müsst ihr mal schauen; wer hat euch das denn erzählt? Das gehört zum Thema Medienkritik“ (Applaus).
Mal abgesehen davon, das auf Fiedlers Eingangs gestellte Frage ob sich hier Rechtsextreme auf dem Fest befinden würden mit „Ja“ geantwortet wurde und er dem hier offensichtlich widerspricht undseine Definition der antideutschen Bewegung schlichtweg falsch ist,propagiert er zusätzlicheine rechte Verschwörungserzählungüber „die Antifa“.
So behauptet er, dass die Begriffe Antisemitismus, rechtsradikal und Verschwörungstheoretiker „nicht zufällig“ daher kommen würden oder sich „intelligente Leute aus der Antifa ausgedacht haben“. Fiedler verweist auf das Netzwerk „COMPACT“ (=Comparative Analysis of Conspiracy Theory). Dort ginge es eben um eine „vergleichende Analyse von Verschwörungstheorien“. Das COMPACT „Netzwerk“ ein von der EU finanziertes Forschungsnetzwerk, welches sich mit den Ursachen und Folgen von Verschwörungstheorien befasst und dazu publiziert. Für Fiedler ist das der Beweis, die eigentlichen Drahtzieher und Erfinder der oben erwähnten Begriffe ausfindig gemacht zu haben, die die Gegendemonstrant*innen dann angeblich so übernehmen würden. Denn er kann auch eine Reihe an Namen von Personen aufzählen, die Teil des COMPACT Netzwerkes sein würden und auch immer wieder durch den Fernseher geistern würden,“wenn man jemanden braucht der einem erklärt was Verschwörungstheoretiker sind“.
Überhaupt ist für Markus Fiedler das Wort „Verschwörungstheoretiker“ eine Verunglimpfung an sich. Er sieht sich nicht als Verschwörunsgtheoretiker, sondern vielmehr als „Verschwörungssachverständiger“. Dafür erntete er zustimmenden Applaus von den Teilnehmenden des Festes.
Auch zum Erreger SARS-CoV-2 hat er eine Meinung: es sei eine „Dauerrealsatire, die hier läuft.“
Als studierter Biologe behauptet er fälschlicherweise, das der Erreger SARS CoV-2 nicht mit den Kochschen Postulaten nachzuweisen sei, da dort einiges fehlen würde.
Bei den Kochschen Postulaten handelt es sich um vier Kriterien, anhand derer bestimmt wird, ob ein bestimmter Mikroorganismus die Ursache einer Krankheit ist. Heutzutage bilden diese Postulate immer noch eine wichtige Grundlage für die Feststellung der Ursache einer Infektionskrankheit, jene Kriterien haben aber auch ihre Einschränkung. Aus diesem Grund wurden auch die Koch’schen Postulate von mehreren Wissenschaftler*innen in den letzten Jahrzehnten modifiziert, um die Kriterien für die Untersuchung von Viruserkrankungen anzupassen.
Der Erreger SARS-CoV-2 erfüllt die Kriterien sogar in allen Punkten. Die Behauptung ist somit falsch.
( https://www.mimikama.at/aktuelles/coronavirus-niemand-gestorben/ )
Nach seinem kurzem biologischen Exkurs, landet Fiedler wieder bei seinem Lieblingsthema. Den angeblich dunklen Machenschaften von ein paar wenigen mächtigen Leuten. „Wir sind eine Menschheitsfamilie (…) es gibt ein paar Psychopathen unter uns“ diese würden in den entscheidenden Positionen sitzen. Auch Impfstoffe seien nicht sicher, denn man sollte sich da mal überlegen wer auf dem Gebiet da so unterwegs sei. Bill Gates, da ist Fiedler überzeugt, ist überall dabei:„ Ein Hansdampf in allen Gassen (…), er hat irgendetwas vor, was genau wissen wir nicht. Es gibt viele Andeutungen dazu, ich will mich dazu gar nicht irgendwie genauer äußern. Nur soweit; denkt es wenigstens, wagt zu denken.“
Hier greift Fiedler auf den momentan populären Verschwörungsglauben um Bill Gates zurück.
Simple Denkmuster, schnell zu verstehende Schlagworte und stumpfe Metaphern aktivieren ganz leicht bestimmte Bilder im Bewusstsein der Leute. Inhalte andeuten, beispielsweise mit rhetorischen Fragen, ohne sie selbst aussprechen zu müssen. Denn die Zuhörenden gehen von alleine diesen Schritt in ihrem Kopf. Es erweitert die Grenzen des Denkbaren/Sagbaren und ist schwerer greifbar. Betrachtet man Fiedlers politisches Umfeld wird schnell klar, das er sich bewusst dieser (Neu-) Rechten Strategie bedient.
Marcus Haintz
Ein weiterer Redner war auch der Ulmer Rechtsanwalt Marcus Haintz, eine Aufzeichnung findet sich unter folgendem Youtube-Link: https://www.youtube.com/watch?v=YhZAb3WMS5k
Marcus Haintz vertritt die Initiative Querdenken als Anwalt, seine Ortsgruppe ist Ulm.
Auf seiner Website verlinkt er die Anwälte für Aufklärung, für die er ebenfalls tätig ist.
Für alle, die keine Lust auf das Video der Rede haben, hier eine kurze Zusammenfassung und ein paar ausgewählte „Highlights“:
Haintz begrüßt zunächst alle Anwesenden und lädt die Gegendemo zu einem Gespräch ein, entweder noch auf der Bühne oder im Anschluss.
Er beschwert sich über die Ungleichbehandlung von Demonstrationen durch die Politik und Gegenproteste und führt als Vergleich die Black-lives-Matter Demonstrationen an, bei denen die Infektionsschutzmaßnahmen auch nicht immer eingehalten worden seien. Später sagt er: „Wenn wir so etwas wie einen Rechtsstaat noch haben, woran ich starke Zweifel habe, dann bitte gleiches Recht für alle.“. Als ihm aus der Gegendemo scheinbar ein paar Mittelfinger gezeigt werden, ruft er allerdings sofort die Cops herbei und fordert, dass diese die Beleidigung dokumentieren, denn die Beleidigung sei eine Straftat. Im einen Moment gegen den Staat wettern und die Rechtsstaatlichkeit anzweifeln und im nächsten Moment bei exakt diesem Staat Schutz suchen – das passt schwer zusammen. Kurz nach seiner Aussage ergänzte er, dass er sich durch die Mittelfinger nicht beleidigt fühle.
Scheinbar ist Marcus Haintz nicht bewusst, welches Privileg er besitzt. Im Ernstfall kann er aufgrund seines Geschlechts und seiner Hautfarbe darauf vertrauen, dass die Cops auf seiner Seite stehen und ihm zu seinen Rechten verhelfen– im Gegensatz dazu können BIPOCs sich dessen nicht so sicher sein, dies ist auch ein Kritikpunkt von BLM-Demonstrationen.
Haintz gibt zu, dass es auf der Demonstration am 1.8. in Berlin keine 1,3 Mio Teilnehmenden waren, behauptet aber, dass es auch keine 17.000 waren, sondern deutlich mehr gewesen sein sollen. Die Teilnehmendenzahlen sind nicht exakt nachprüfbar, sodass seine Behauptung unbelegbar bleibt. Sämtliche seriösen Faktechchecks bestätigen jedoch Zahlen unter 20.000 Teilnehmenden.
( https://www.volksverpetzer.de/analyse/teilnehmerzahlen-nur-17-000/ )
Im Anschluss folgen ermüdende Erklärungen und Gejammer, dass es zu laut wäre, die Gegendemo die 90dB-Grenze überschreite – inhaltlich hat Marcus Haintz wenig zu bieten. Auch seine angeführte oberflächliche und wenig differenzierte Faschismusdefinition als reine „Machtbündelung“ überrascht wenig. Seiner Meinung nach sehe man derzeit keine Machtbündelung von rechts oder links, „aber was wir sehen und da bin ich mir sicher, dass ich mit der Antifa einer Meinung bin, wir sehen, schaut man die Zahlen beim Forbes-Magazin an, wie in einer epochalen Krise der Menschheit, die wir tatsächlich haben, Ursache ist, darüber brauchen wir nicht streiten, das kann A oder B sein, wie die Reichsten der Reichen in Amerika ihr Vermögen massiv ausgebaut haben.“
Die Forbes-Listen sollen mit Sicherheit auf Bill Gates anspielen, der in vielen Verschwörungstheorien derzeit als das Böse in Person dargestellt wird. An dieser Stelle formuliert Haintz also eine sehr oberflächliche Kapitalismuskritik, scheinbar hat er sich nicht näher mit den Funktionsweisen des Systems auseinandergesetzt, ansonsten würde er nicht Einzelpersonen verantwortlich machen und seine Kritik nur auf diese beschränken. Was allerdings die Ursachen A oder B sein sollen, die für die epochale Krise verantwortlich sind, bleibt offen und damit auch anschlussfähig für verschiedene Theorien – mögen es eine angebliche jüdische Weltverschwörung sein oder die Theorien rund um QAnon.
Von der Gegendemo folgt durch den Lautsprecher die Antwort, dass Kritik am Kapitalismus durchaus berechtigt sei, solang aber Menschen mit rechter und rechtsoffener Gesinnung auf den Demonstrationen toleriert werden und Menschen wie der Volkslehrer Werbung für die Veranstaltungen machen, auch mit Gegendemonstrationen zu rechnen sei. Zunächst scheint sich Marcus Haintz darüber zu freuen, dass nun eine Diskussion zustande kommt, er bringt jedoch selbst keine Argumente und überlässt Martin aus dem Publikum das Mikrofon. Martin fordert, dass die Demo sich von rechts distanzieren solle und bei jeder Demonstration eine öffentliche Abgrenzung erfolgen solle. Als Marcus Haintz das Mikrofon wieder übernimmt, ist seine Redezeit fast vorüber, er betont jedoch noch einmal, „wir grenzen uns von jeder Art von Extremismus ab und von jeder Art von Faschismus. Natürlich darf man hier auch die Meinung haben links ist besser als rechts oder rechts ist besser als links.[…] Ich bin genauso Antifaschist wie ihr, ob ihr mir das glaubt oder nicht. Ich bin vor allem gegen jede Art von Spaltung der Gesellschaft, weil Spaltung der Gesellschaft hat immer zu Unrecht geführt […]“. Die Abgrenzung „von jeder Art von Extremismus“ bezieht sich hier auf die Extremismustheorie. Diese Theorie beruht auf der Vorstellung, dass man das politische Spektrum auf einer Achse von links nach rechts anordnen kann. Haintz setzt nun die äußeren Extreme (links und rechts) gleich, wobei er das zugrunde liegende Menschen- und Weltbild vernachlässigt.
Am folgenden Wochenende (29.8.2020) konnten wir Marcus Haintz in diversen Interviews als Anwalt des Anmelders und Besucher der Corona-Demonstration in Berlin sehen. Er gab dort auch dem Sender KenFM ein Interview.
Die Tatsachen, dass Marcus Haintz, der sich selbst als Antifaschist bezeichnet, an den Demonstrationen in Berlin teilnimmt, bei denen beispielsweise auch Menschen mit Reichsflagge und Qanon-Symbolen zu sehen sind, ohne Widerspruch gegen die Menschen und Zeichen zu äußern und außerdem Sendern wie KenFM Interviews gibt, zeigen wohl deutlicher, wie es um seinen „Antifaschismus“ bestellt ist, als wir es beschreiben könnten…
Superman
Gegen Ende der Veranstaltung betrat noch ein weiterer Redner die Bühne von „Flensburg für Grundrechte“. Ein im „Superman“ Kostüm verkleideter Mann. Großteile seiner Rede sind unter diesem Link verfügbar: https://www.youtube.com/watch?v=4pacB3wTQ6M
Wer keine Lust auf Supermans Rede hat, hier ein paar Highlights:
Superman behauptet immer noch (!), dass am 1.8.2020 sehr viel mehr als 17.000 Menschen an der Demonstration in Berlin teilgenommen hätten. Dies wurde mehrfach widerlegt.
( https://www.volksverpetzer.de/analyse/teilnehmerzahlen-nur-17-000/ )
Er stellt die Frage „Warum lügen die?“ und meint damit die Presse. Die Vokabel „Lügenpresse“, auf die Superman hier anspielt, ist vor allem bekannt aus dem Kreise rechter Veranstaltungen, beispielsweise Pegida. Die Presse soll auf diese Weise abgewertet werden. Von vielen „Anti-Corona-Demonstrationen“, gibt es Berichte von Journalist*innen, die dort nicht nur verbal angegriffen wurden. Auch in Flensburg wurde durch die Demonstrierenden vehement gefordert, einen Pressevertreter der Demo zu verweisen. Mit der Pressefreiheit ist es bei diesen Veranstaltungen nicht so weit her und Superman verstärkt durch seine Äußerungen das Misstrauen gegen die Presse und Pressevertreter*innen und bestärkt Menschen, Journalist*innen zu bedrohen oder diese anzugreifen.
Weiter führt Superman aus, dass Wissenschaft etwas sehr Gutes sei, der Vater von Superman sei schließlich auch Wissenschaftler gewesen. Allerdings habe man nicht auf die Warnungen von Supermans Vater gehört. Superman zieht hier eine Parallele zu Wodarg und Bhakdi. Die von Superman genannten Personen sollen hier nicht weiter analysiert werden, das ist an anderer Stelle bereits ausführlich geschehen. Nur so viel: Im Wikipedia-Beitrag zu Bhakdi und Wodarg wird beschrieben, dass die beiden mit Hilfe von Daten, Datenlücken und Spekulationen Thesen aufstellen, die teilweise falsch und teilweise nicht überprüfbar sind. Außerdem leugnen sie die Gefahr, die von Corona ausgeht. Es verwundert wohl niemanden, dass die Namen von Gegnern der Corona-Maßnahmen häufig als seriöse Quellen genannt werden.
Kritik an den Maßnahmen der Bundesregierung gegen die Ausbreitung des Corona-Virus ist wichtig, das zweifelt von uns auch keine_r an. Einschränkungen der Grundrechte sind immer kritisch zu betrachten. Die Kritik von Superman bewegt sich dabei jedoch auf einem sehr fragwürdigen Niveau. Er vergleicht die ergriffenen Maßnahmen mit der Durchsetzung einer Diktatur. Dass wir nicht in einer Diktatur leben, ist recht einfach zu belegen, schließlich standen an diesem Samstag ca. 250 Menschen an der Hafenspitze, haben eine Versammlung angemeldet und kritisieren die Corona-Maßnahmen der Regierung öffentlich. Dies wäre in einer Diktatur undenkbar.
Neben der Demonstration der „Initiative für Grundrechte“ haben sich, wie oben bereits erwähnt, auch viele Menschen eingefunden, die eben diese Demonstration kritisieren. Die Gegendemonstration fordert, dass sich die Initiative dafür einsetzen muss, rechte Menschen und antisemitisches Gedankengut von den Demonstrationen zu verweisen und sich selbst glaubwürdig zu distanzieren. Coronaman hat auch einige Worte für die Gegendemo: „Es kann nicht sein, dass es nur eine einzige Meinung geben darf, denn das ist Faschismus und wir sind auf der Straße gegen Faschismus!“. Diese Aussage gründet wohl darauf, dass Superman nicht mit Kritik und Widerspruch umgehen kann. Keine_r verbietet ihm seine Ansichten. Meinungsfreiheit bedeutet aber eben nicht, dass man Behauptungen aufstellen kann und ein Recht darauf hat, dass niemand widerspricht. Und solange die „Initiative für Grundrechte“ und andere Gruppen sich nicht glaubwürdig von rechts distanzieren, wird es weiterhin Widerspruch geben.
Zum Schluss erzählt Superman noch Geschichten. Von Juden und Moslems, die er auf den Demonstrationen gemeinsam habe tanzen sehen, von Rechten und Linken, die sich miteinander unterhalten und von einem Juden, der ihm erzählt habe, er habe Angst vor der Antifa. Welche Geschichten davon sich so ereignet haben, ist wohl nicht mehr nachzuvollziehen und dies ist auch nicht unser Anliegen. Die Gespräche zwischen Rechten und Linken sind auch nicht generell zu verurteilen, gemeinsame Demonstrationen hingegen schon! Dies ist auch einer der größten Kritikpunkte, die wir in den Demonstrationen der Initiative „Flensburg für Grundrechte“ sehen. Dort nahmen viele bekannte rechte Menschen und Reichsbürger*innen teil, die durch das gemeinsame Auftreten gesellschaftsfähig wurden und ihnen somit eine ideale Plattform geboten wurde, um ihre Ideologien zu verbreiten!
Die anderen Geschichten a la „Ich habe einen Bekannten, der ist Jude und der hat gesagt…“ wirken allerdings sehr konstruiert. Einzelne jüdische Menschen mögen sich vielleicht vor der Antifa fürchten, allerdings warnen beispielsweise die Recherche- & Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) und der Zentralrat der Juden in Deutschland vor den Hygiene-Demonstrationen. Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster sagte in einem Interview in Bezug auf die Demonstrationen: „Das erinnert mich an das Mittelalter, als es hieß, die Juden seien schuld am Ausbruch der Pest. Damit begannen dann die Pogrome.“. Auch andere Minderheiten fühlen sich durch die Demonstrationsteilnehmer*innen bedroht, beispielsweise veröffentlichte Tupoka Ogette auf Instagram eine Nachricht, die sie ihrem Sohn am 29.8.2020 sendete. Diese lautete:“Heute sind sehr viele gewaltbereite Rechtsradikale/Nazis und Verschwörungstheoretiker in Berlin unterwegs. Passt bitte ganz sehr auf euch auf, wenn ihr unterwegs seid. Am besten du gehst nicht zu viel raus.“ Wenn Minderheiten sich wegen einer stattfindenden Demonstration um die Sicherheit ihrer Angehörigen und Freund*innen sorgen und deshalb ihre Bewegungsfreiheit eingeschränkt ist – wie kann dann ein privilegierter weißer Mann sich auf eine Bühne stellen und von tanzenden Minderheiten auf den Demonstrationen sprechen?!
https://www.instagram.com/tupoka.o/
Fazit
Fast wie ein Mantra wiederholen die Verschwörungsideolog*innen, sie seien eine wachsende Bewegung. Obwohl in Hamburg und ganz Schleswig-Holstein für die Demo in Flensburg geworben worden war, kamen nicht die angekündigten 800 Menschen, sondern deutlich weniger. Der Kreis der Teilnehmenden speist sich aus einem eingeschworenen Kern an Mitgliedern verschiedener Initiativen und Querdenken-Gruppen, neue Menschen werden kaum erreicht und viele derer, die auch in Flensburg mal mitdemonstriert haben, sind nicht mehr mobilisierbar. Die Gründe dafür dürften neben den Lockerungen der Corona-Maßnahmen auch darin liegen, dass sich die Initiative „Flensburg für Grundrechte“ immer wieder selbst diskreditiert, unglaubwürdig macht und hochgradig unseriösen Redner*innen eine Bühne bietet. Das war beim „Fest für Frieden und Freiheit“ ebenso zu beobachten, wie bei den kleineren Demos der Initiative in den Wochen und Monaten zuvor. Auch die Großdemos in Berlin können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Gesamtentwicklung der Schwurbler-Szenerie gerade an Dynamik einbüßt. Nichtzuletzt die nach Berlin nicht mehr zu leugnende Nähe zu rechten und rechtsextremen Gruppen und der offensichtliche Nährboden dafür, machen es zunehmend schwerer bzw. unglaubwürdig, sich als unpolitische Mitte darzustellen, wie es auch der Flensburger Initiator Alexander Kuhn doch all zu gerne tut. Zudem kommt es mittlerweile verstärkt auch zu gruppeninternen Konflikten und ziemlich komisch anmutenden Verschwörungsmythen der Verschwörungsideolog*innen untereinander, weshalb ein Teil der Demonstrierenden demotiviert wegbricht, während sich andere Teile spürbar radikalisieren.
Ergo: Es bleibt spannend und kritische Begleitung der Scheiße bleibt notwendig.