Vielerorts gab es in den letzten Wochen Proteste gegen den sich autoritär zuspitzenden Staat, in Flensburg beispielsweise mehrere Klönschnack-Demos, bei denen sich Interessierte über Ängste, Wünsche und Freiheitseinschränkungen austauschten sowie eine Demo für Versammlungsfreiheit. Mittlerweile hat auch das Bundesverfassungsgericht bekräftigt, dass das vollkommene Verbot von Demos an vielen Orten rechtswidrig war. Bei Einhaltung von Vorsichtsmaßnahmen sind Demos nicht nur vertretbar (und legal), sondern gerade in Zeiten wie diesen enorm wichtig. Aber Demo ist nicht gleich Demo, es gibt auch gefährliche Tendenzen.

Wir haben ein Flugblatt dazu erstellt anhand eines Textes von crimethinc. Ihr findet es hier in der Version für Flensburg und hier in der ortsneutralen Version.

Einige jener, die in den letzten Wochen protestierten, verstanden sich als Verteidiger*innen der Grundrechte und des Grundgesetzes – sie sehen sich dabei einer großen Verschwörung seitens der Regierung gegenüber, die vollkommen überzogen auf COVID–19 reagiere (oder es gleich erfunden habe und wenn nicht, dann war es halt Bill Gates). Dass diese Demonstrationen ein Hot-Spot von Verschwörungstheoretiker*innen aller Couleur bis hin zu waschechten Nazis ist, wird bei der »Dringlichkeit« des Anliegens geflissentlich ignoriert.

Die vermeintlich einzig "seriöse" Printzeitung zu Corona, heraus- gegeben vom Demokratischen Widerstand ist das genaue Gegen- teil von seriös: Sie nutzt Worte wie "Horror-Regime", sieht ein dystopisches Digital- und Pharmakonzern-Kartell, behauptet die Gleichschaltung der Medien und inszeniert sich passend zur eigenen gut-böse-Logik in Star-Wars-Optik als "Der Widerstand".
Die vermeintlich einzig „seriöse“ Printzeitung zu Corona, herausgegeben vom Demokratischen Widerstand ist das genaue Gegenteil von seriös: Sie nutzt Worte wie „Horror-Regime“, sieht ein dystopisches Digital- und Pharmakonzern-Kartell, behauptet die Gleichschaltung der Medien und inszeniert sich passend zur eigenen gut-böse-Logik in Star-Wars-Optik als „Der Widerstand“.

In Russland haben Demonstrationen als Reaktion auf die Quarantänebedingungen und die Existenz des Virus zu offenen Auseinandersetzungen geführt, was in der Tat selten ist in Putins totalitärem Regime. In Frankreich kam es in mehreren Städten und Vorstädten, wie in Villeneuve-la-Garenne, zu Unruhen, nachdem die Polizei im Schatten der Quarantäne fünf Menschen ermordete und viele weitere verletzte; während der andauernden Repression erschossen Beamt*innen ein fünfjähriges Mädchen mit einem Gummigeschoss LBD40 und brachen ihr den Schädel. In Peru hat die Polizei Massen verarmter Flüchtlinge angegriffen, die versuchten, aus der Hauptstadt in ihre Heimatdörfer zu fliehen, da ihnen während der Abriegelung die Ressourcen ausgegangen waren.

All diese Beispiele zeigen, wie schlecht kapitalistische Regierungen, die auf ihrem Gewaltmonopol basieren, ausgerüstet sind, um die Art von Quarantänen aufrechtzuerhalten, die die Ausbreitung einer Pandemie verhindern können. In einer Gesellschaft, in der fast der gesamte Reichtum in wenigen Händen konzentriert ist, in der staatliche Erlasse mit Gewalt durchgesetzt werden, fehlt es einem großen Teil der Bevölkerung an Mitteln, um eine solche Katastrophe isoliert durchzustehen. Die meisten Menschen, die die soziale Distanzierung aufrechterhalten haben, haben dies aus Sorge um die gesamte Menschheit getan, unter großen Kosten für sich selbst, nicht wegen der Gewalt, die der Staat ihnen androhte. Die staatliche Durchsetzung der Quarantäne war, gelinde gesagt, ungleichmäßig, zum Beispiel hat der Gouverneur von Florida professionelles Wrestling als essentiell deklariert – und weltweit bleibt die Polizei, der es die gesamte Zeit über erlaubt war und ist, sich in großen Gruppen nah beieinander und ohne Masken zu bewegen, ein blinder Fleck.

Da es keine starke Bewegung gegen den zunehmenden Autoritarismus gibt, kann es passieren, dass sich Menschen, die über die Machtübernahme des Staates besorgt sind, an »Protesten« beteiligen, wie jenen, die in den USA Trump auffordern den Lockdown aufzuheben oder jenen, die in Berlin in punkto Verschwörungsglauben einen auf Xavier Naidoo machen. Dies ist eines der Markenzeichen einer autoritären Gesellschaft: dass die Menschen keine andere Wahl haben, als eine der Fraktionen zu unterstützen, die alle totalitäre Visionen verfolgen. So verständlich das Interesse an kritischer Bildung und Forschung zu Corona sein mag, so absurd und falsch ist es auch mit jenen auf die Straße zu gehen, die die Existenz des Virus einfach komplett leugnen – die Basis dieses Leugnens ist im besten Fall der Wunsch des »zurück-zur-Normalität« (oder spielt ihm zumindest in die Hände), eine Normalität, die bereits vor dem Virus eine Katastrophe für viele war, im schlimmsten Fall ist sie einfach nur eines: Antisemitismus!

Wofür lohnt es sich zu sterben?

Es gibt Dinge, für die es sich lohnt, den Tod zu riskieren. Die Aufrechterhaltung des Kapitalismus gehört nicht dazu. Zurück an die Arbeit zu gehen – mit dem Risiko, COVID-19 zu verbreiten oder daran zu sterben –, damit die Reichen weiterhin Gewinne erzielen können, gehört ebenfalls nicht dazu.
Wenn das Problem darin besteht, dass die Menschen darunter leiden, dass die Wirtschaft stillgelegt wird, ist die Lösung klar. Die Menschen haben bereits unter der Wirtschaft gelitten als diese noch regulär lief. Die Ungleichheiten, die sie geschaffen hat, sind einer der Gründe, warum einige Menschen so verzweifelt wieder arbeiten wollen – aber in einer gewinnorientierten Ökonomie werden die Ungleichheiten umso größer, je besser die Wirtschaft läuft.
Praktisch alle Ressourcen, die die Menschen benötigen, sind bereits vorhanden oder könnten durch freiwillige Arbeit auf viel sichererer Grundlage hergestellt werden – es besteht keinerlei Anlass die Ärmsten und Gefährdetsten wieder zur Lohnarbeit zu zwingen oder Spargel ernten zu lassen (und das unter dem Risiko das Virus zu verbreiten oder daran zu sterben). Statt zur Tagesordnung überzugehen, müssen wir den Kapitalismus ein für alle Mal abschaffen.

Politiker von Gauland bis Lindner fordern die sofortige Wiederaufnahme der Wirtschaft um jeden Preis: Sie setzen darauf, dass sie nicht diejenigen sein werden, die sterben. Logisch, dass den Nutznießer*innen des Kapitalismus eine Pandemie, die einen Teil der widerspenstigen Bevölkerung auslöschen könnte, jedenfalls keine Angst macht, wenn sie sie nicht insgeheim sogar begrüßen. Die Unterscheidung zwischen »unentbehrlichen« und »entbehrlichen« Arbeiter*innen hat dies für alle sichtbar gemacht: Ein großer Teil der Bevölkerung ist für die industrielle Produktion und die internationale Logistik nicht mehr unentbehrlich. In einer unbeständigen Welt hat die immer erschwinglichere Automatisierung die Zornigen und Prekären zur bloßen Belastung für die Machthaber*innen reduziert.
Wir sind noch nicht desensibilisiert genug um uns vorzustellen, dass diejenigen, die uns regieren, offen darüber sprechen, dass der Tod von Millionen ein lohnender Preis für ein Weiterfunktionieren der Wirtschaft sein könnte. Auf Fox News gab es Versuche, den Diskurs dahingehend zu verschieben und in der Neuen Zürcher Zeitung wird ganz unverfänglich über »Senizid« diskutiert. Sind wir nicht bereits desensibilisiert gegenüber Arbeitsunfällen, Luftverschmutzung, globalem Klimawandel und ähnlichem?

Rebellion

Statt zwischen der Unterwerfung unter einen fürsorglichen, technokratischen Staat und seinen Corona-Überwachungsmaßnahmen und dem Risiko bei der Aufrechterhaltung des Marktes eventuell an COVID-19 zu sterben, müssen wir eine andere Option einbringen: ein Kampf gegen Kapitalismus und Autoritarismus jeglicher Couleur von unten.
Um unser Leben und das Leben unserer Nachbar*innen zu schützen, Zugang zu Ressourcen zu erhalten, Freiheit zu erlangen – gibt es nur einen Weg: Wir müssen rebellieren. Dagegen für die Interessen des Marktes tödlicher Gefahr ausgesetzt zu werden und gegen jene, die die Schuld an der Misere einzelnen Menschengruppen zuschreiben wollen.

Kapitalismus ist ein Todeskult.

Für den Markt zählt nichts anderes als der Profit. Wälder sind nur als Holz oder Toilettenpapier von Wert; Tiere haben nur einen Wert als Hot Dog oder Hamburger. Die kostbaren, unwiederbringlichen Momente deines Lebens bekommen nur einen Wert als Arbeitsstunden, die von den Imperativen des Handels bestimmt werden. Der Markt belohnt Vermieter*innen für die Vertreibung von Familien, Chefs für die Ausbeutung von Angestellten, Ingenieurinnen für die Erfindung von Todesmaschinen. Er trennt Mütter von ihren Kindern, treibt Arten in die Ausrottung, schließt Krankenhäuser, um privatisierte Gefängnisse zu öffnen. Er dezimiert ganze Ökosysteme zu Asche, spuckt Smog und Aktienoptionen aus. Wenn die Welt sich auf ihn verlässt, wird sie in einen Friedhof verwandelt.
Es gibt Dinge, für die es sich lohnt, unser Leben zu riskieren. Die Aufrechterhaltung des Kapitalismus gehört nicht dazu. Wenn wir unser Leben riskieren müssen, dann sollten wir es für etwas Sinnvolles riskieren – wie zum Beispiel eine Welt zu schaffen, in der niemand für ein Gehalt den Tod riskieren muss. Das Leben des Marktes bedeutet den Tod für uns.