Hier das letzte Wort aus dem heutigen Bahnhofswaldprozess:
Was ist eigentlich der richtige Begriff für all das, was wir rund um den Bahnhofswald in den letzten Jahren erlebt haben?
Ist die gezielte Einflussnahme auf Behörden zur Änderung ihrer Einschätzung, die Nutzung von Infektionsschutzregelungen gegen Versammlungen, die Instrumentalisierung des Baurechts als Mittel gegen Proteste Korruption? Missbrauch einer formalen Funktion ist es allemal und sicherlich auch strukturell, aber braucht Korruption nicht eine Gegenleistung? Ob es die gegeben hat, wissen wir bisher nicht. Aber das lateinische corruptio bedeutet auch Verdorbenheit. Das kann ich einigen der skizzierten Vorgänge aus vollster Überzeugung attestieren.
Nehmen wir nun also hypothetisch an, es habe auf keiner Ebene eine persönliche Vorteilsnahme gegeben und alle Entscheidungen wären aus der Überzeugung, das richtige zu tun, entsprungen, was verrät das dann über die zugrundeliegenden Überzeugungen der involvierten Personen?
Wir starten mit einem recht einfachen Beispiel:
Ich versuche mir vorzustellen, welches Weltbild dahinter steckt, trotz des Wissens um das Vorhandensein einer Quelle einen Bebauungsplan zu verabschieden, der diese Quelle unterschlägt. Vor meinem inneren Auge sehe ich das Klischee eines Anzugträgers, der eine matschige Fläche anguckt und sagt, es handle sich dabei bloß um eine Pfütze und selbst wenn nicht, was solle daran schon besonderes sein. Er assoziiert Pfützen vielleicht mit dreckigen Schuhen und ungemütlichem Wetter und kennt Kröten ohnehin vor allem vom medizini-Poster aus der Apotheke.
Vielleicht fehlt es mir an Kreativität, aber etwas anderes als das überhebliche Ignorieren der Einschätzung ökologisch kompetenter Menschen und das Verdrängen von gerade mal nicht passenden Regeln fällt mir wirklich nicht ein, um ein solches Verhalten zu erklären. Und wahrscheinlich ist diese Ignoranz den Ausübenden garnicht bewusst, weil sie sich wirklich so wenig mit Ökologie befasst haben, dass ihnen ehrlich vollkommen schleierhaft ist, warum so etwas schützenswert sein könnte oder sollte. Dass sie zutiefst davon überzeugt sind, dass die bestehenden Naturschutzgesetze zu streng oder ganz falsch seien, die Abwägung viel zu häufig für irgendeine unsinnige Tierart oder ein Pfützen-Biotop ausfallen würde statt für das ersehnte Bauprojekt. Und wenn sie überhaupt soweit denken sich Umweltschützer*innen vorzustellen, dann sind das in ihren Augen vermutlich naive, realitätsferne, fortschrittsfeindliche ewig-gestrige, vielleicht gar Kommunisten.
Ich möchte diesen Gedanken gern übertragen auf einen weiteren bemerkenswerten Vorgang in dieser ganzen Geschichte: Oberstaatsanwalt Pansa hält das Ansägen eines Baumes mit Person drauf für gedeckt vom Notwehrrecht. Jedenfalls schreibt er das, womit zementiert wird, dass es keine weiteren Ermittlungen gegen die Baumfäller geben wird.
Ich versuche nachzuvollziehen, wie ein Mensch zu einer solchen Aussage gelangen kann. Und wieder habe ich das Gefühl, dass die zugrundeliegende Überzeugung ausschlaggebend ist: Weil es im eigenen Weltbild partout nicht vertretbar ist, dass Aktivist*innen selbstlos zu direkten Aktionen greifen (ob zum Thema Umweltschutz oder einem anderen ist vermutlich an dieser Stelle vollkommen egal), muss jedes Vorgehen gegen diese Aktionen straffrei bleiben. Das Resultat der Abwägung steht also fest, bevor der Kopf den Weg dorthin beschreitet. Und dass dann auf eben diesem Weg mal eben das staatliche Gewaltmonopol über den Haufen geworfen wird, ist einfach nur ein unvermeidbarer Nebeneffekt.
Ich versuche sodann mir Simone Lange vorzustellen, wie sie in Kiel explizit für eine nächtliche Ausgangssperre eintritt und bereits im Hinterkopf hat, dass sie diese dann auch nutzen könnte und würde, um gegen die lästige Besetzung vorzugehen. Auch hier ist das Ziel, eine Rechtsgrundlage für eine Räumung zu kreieren, lange vor dem konkreten Vorgehen schon klar und so wird ein möglich erscheinender Weg komme-was-wolle beschritten. Vielleicht fehlt mir auch hier wieder die Fantasie und alles war ganz anders, aber will mir wirklich irgendwer ernsthaft erzählen, Simone Lange habe nicht gewusst, dass es bei Räumung des Waldes zu Protesten kommen würde? Dass ein riesiger Polizeieinsatz mit Hundertschaften aus anderen Bundesländern, ganz egal wie er abläuft, menschliche Kontakte und damit das Infektionsrisiko erheblich erhöhen würde? Sie wusste es und entschied sich dennoch für diesen Weg.
Ich könnte das unendlich weiterspinnen, aber es lässt sich auch abkürzen: Wer korrupt ist, tut etwas von dem er weiß oder ahnt dass es nicht legal oder moralisch korrekt ist, weil er dafür persönliche Vorteile erhält. Das ist bitter, weil es den Menschen an Rückgrat und Integrität fehlt, aber zumindest haben korrupte Menschen noch ein Gespür dafür, dass nicht in Ordnung ist, was sie tun. Überzeugungstäter*innen hingegen sind mir deswegen zwar deutlich lieber, mit ihnen ist immerhin ehrlicher Streit möglich. Aber wenn ich mir angucke, welche Überzeugungen es sind, die hier weitgehend als normal gelten, die unhinterfragt dauernd reproduziert werden, dann sehe ich eine fortschreitende Klimakrise und einen eklatanten Rechtsruck. Es ist schwer unter solchen Bedingungen daran zu glauben, dass eine bessere Welt möglich ist.
All die, die derart auf Wachstum und Eigentum fixiert sind, merken ja nicht einmal, was sie zerstören. Und damit kommen wir schlussendlich nicht umhin zu fragen, was für ein System dazu führt, dass Menschen so denken.
Einen Systemwandel anzustreben bedeutet nicht, dass ich mir martialische Straßenschlachten wünsche, sondern dass ich zu der Erkenntnis gelangt bin, dass es bessere Möglichkeiten des Zusammenlebens gibt als die jetzige und dass der momentane Zustand ohnehin früher oder später zusammenbricht. Nein, ich bin keine Marxistin, die meint, dieser Tag stünde unmittelbar bevor. Der Kapitalismus hat schon oft bewiesen, dass er in der Lage ist, sich zu modernisieren. Aber dass er das Leben für die Menschen besser gemacht hätte, kann ich ihm in der Summe nicht attestieren.
Und vielleicht sitzen die zugrundeliegenden Denkmuster so tief, dass es wirklich unrealistisch ist, die Welt verändern zu wollen. Aber für mich ist diese Frage müßig. Denn wer wäre ich, es nicht wenigstens versucht zu haben?
Und all ihr Rechtsprechenden, kommen Sie mir nicht mir Ihrem Gerede von milderen Mitteln, an die sie selbst bei genauerer Betrachtung doch ebenso wenig glauben wie ich. Sie wollen nicht anerkennen, dass es in der Geschichte immer wieder auch explizit illegale Proteste waren, die Wandel brachten. Oder Sie wollen keinen Wandel. Weil diese Erkenntnis in der Lage wäre, das bestehende Weltbild durcheinander zu bringen. Weil Sie dann auch an Ihrem Job zweifeln müssten.
Ich habe viele Prozesse erlebt in den letzten 15 Jahren. Oft als Zuschauerin, manchmal als Angeklagte, immer wieder auch als Strafverteidigerin. Bei den meisten Menschen, die viel in Gerichten sind, stellt sich nach einer verwunderten Anfangszeit eine gewisse Gewöhnung ein. Ich nehme mich davon nicht aus. Ich habe mich gewöhnt an Anmaßung, Gewalt und Überheblichkeit. Nichts davon erstaunt mich und traurigerweise regt mich vieles nicht einmal mehr auf.
Um es mit den Worten eines französischen Kameraden zu sagen: „Sachez que je n’attends rien de votre institution“ – Sie sollen wissen, dass ich von ihrer Institution nichts erwarte.
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