Wir dokumentieren hier eine am 24.April bei einer Kundgebung an der Hafenspitze gehaltene Rede einer Freiwilligen von SOS MEDITERRANEE:
„Allen Menschen in Seenot muss Hilfe geleistet werden, unabhängig von ihrer Nationalität, ihres Status oder der Umstände, in denen sie vorgefunden werden.“ Artikel 98 des Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen.
Ich stehe heute hier, Flensburger Freiwillige der zivilen Seenotrettungsorganisation SOS MEDITERRANEE, um der Welt zu sagen: NEIN, WIR schauen NICHT weg. Wir schauen da hin, wo das Völkerrecht nicht mehr zu gelten scheint, wo unsere Pflicht, die Menschenwürde zu achten, scheinbar nicht mehr existiert.
Realisieren zu müssen, dass europäische Mitgliedstaaten, dass die Europäische Union nicht so denken wie wir, macht mich traurig. Realisieren zu müssen, dass Staaten wie Deutschland sogar aktiv auf die Tragödie schauen und trotzdem nichts tun, macht mich sprachlos. Und dann zu realisieren, dass Menschen wie wir, die alles geben, um Schutzsuchenden vor dem Ertrinken zur Hilfe zu kommen, von diesen Staaten auch noch blockiert und kriminalisiert werden, macht mich wütend.
Wie kann es sein, dass im Jahr 2021 immer noch Menschen vor europäischen Außengrenzen ihr Leben verlieren müssen?!
Legale Fluchtwege werden von der Politik verhindert und es wird kein staatliches, solidarisches, nicht militarisiertes Rettungsprogramm von der EU zur Verfügung gestellt. Gleichzeitig behindern europäische Staaten die zivilen Seenotrettungsschiffe bei ihrer Arbeit. Dabei wird immer wieder davon gesprochen, man wolle den so genannten „Migrationsdruck“ senken. Das ist nicht nur unglaubwürdig, sondern es führt zu mehr Toten auf dem Mittelmeer, mehr Internierten in den lybischen Lagern, wo nachweislich gefoltert und Menschenhandel betrieben wird.
Wir von SOS MEDITERRANEE teilen die Ansicht der EU-Staaten, dass es keine zivilen Seenotrettungsschiffe im Mittelmeer geben sollten. Denn es ist staatliche Aufgabe, die Sicherheit für das menschliche Leben auf See zu garantieren. Und genau das tut die EU nicht. Die EU-Staaten übernehmen keine Verantwortung für die flüchtenden Menschen auf dem Mittelmeer. Vielmehr haben sie sich in den letzten Jahren vollständig aus dem Mittelmeer zurückgezogen und überlassen diese Aufgabe lieber der von ihr unterstützten, dysfunktionalen libyschen Küstenwache!
Sie hat damit eine tödliche Lücke hinterlassen. Das Mittelmeer ist aufgrund fehlender Rettungskapazitäten die tödlichste Fluchtroute dieser Welt. Nur deshalb übernehmen SOS MEDITERRANEE; Sea-Watch, Sea Eye und viele andere Organisationen die Aufgabe der Seenotrettung.
Am Mittwochabend dieser Woche stimmte der Bundestag über den Antrag der Bundesregierung ab, das Mandat der EU-Mission IRINI um weitere zwei Jahre zu verlängern. Das bedeutet, dass die lybische Küstenwache weiter von der EU finanziert (bisher fast 100 Millionen Euro) und ausgebildet wird.
Das hat dramatische Folgen für den Schutz der Menschenrechte und die Prinzipien des Seerechts. SOS MEDITERRANEE hat in ihrem Report „Völkerrecht über Bord“ u.a. folgendes dokumentiert,
• Die libysche Küstenwache schleppt aus Seenot gerettete Menschen systematisch nach Libyen zurück und verstößt damit gegen internationales Recht. Libyen ist kein sicherer Ort für aus Seenot gerettete Menschen.
• Die libysche Küstenwache ist entgegen ihrer seerechtlichen Pflichten trotz jahrelangem Aufbau durch die EU-Staaten oft stunden- oder gar tagelang nicht erreichbar;
• Die libysche Küstenwache gibt lebenswichtige Informationen zu Booten in Seenot nicht an umliegende Schiffe weiter und verzögert so Rettungen und bringt Menschenleben akut in Gefahr.
Der Tod der vielen Menschen in dieser Woche zeigt erneut auf dramatische Weise die Folgen dieser Politik.
Wir sollten Hochachtung vor denen haben, die im Mittelmeer sind, waren oder es sein werden, um denen zu helfen, die Hilfe brauchen. Die, die Worte in Taten umsetzten. Denen, den es egal ist, warum oder wieso die Menschen da draußen die Hilfe brauchen. Ich danke all denen! Wir sollten uns hier an Land, in unserer Stadt dafür stark machen, dass Menschen in Not zur Hilfe gekommen wird, dass Seenotrettung Pflicht und kein Verbrechen bleibt.
Meine Gedanken sind bei den Familien und Freunden derer, die sich solchen Gefahren aussetzten müssen, die wahrscheinlich niemals erfahren werden, was da draußen wirklich geschehen ist. Lasst uns gemeinsam für die, die ihr Leben auf dem Wasser verloren haben ein Licht anzünden. Denn es sind Menschen, wie du, wie ich. Keine Zahlen!