Seit einer Woche halten Klimaaktivist*innen den Flensburger Bahnhofswald besetzt, um dessen Rodung zu Gunsten eines Hotel- und Parkhausneubaus zu verhindern. Einen ersten Etappensieg sehen sie auf ihrer Seite: „Bereits die erste Woche hat gezeigt, dass die Besetzung als Aktionsform nötig ist. Denn sonst hätten die Rodungsarbeiten bereits begonnen“, erklärte eine Aktivistin. Am zweiten Tag der Besetzung rückten Arbeiter an, inspizierten das Gelände – und zogen wieder ab. In der vergangenen Woche bauten die Baumbesetzer*innen ihr in luftiger Höhe errichtetes „böömdörp“ (Baumdorf) weiter aus. Sie errichteten weitere Plattformen und Verbindungen zwischen den Baumhäusern, die nun auch für das zunehmend ungemütlicher werdende Herbstwetter gerüstet sind.

Auch am Boden ist einiges los. Aktivist*innen sind rund um die Uhr vor Ort ansprechbar, Presse und interessierte immer willkommen. Immer wieder bleiben Passant*innen stehen, freuen sich über die Aktion und diskutieren mit den Aktivisten*innen. Eine Unterstützungsgruppe auf Telegram hat bereits 100 Mitglieder und Busfahrer*innen grüßen regelmäßig. Viele bieten auf Anfrage schnelle Hilfe oder liefern von sich aus große Mengen an Heißgetränken, Essen und anderen Versorgungsgütern. „Es ist einfach geil hier“, sagt jemand. Denn mit der Besetzung sei auch ein „Kreativ-Freiraum“ geschaffen worden, in den sich viele einbringen können. Vieles passiere „von alleine, aus einer Eigendynamik heraus“. Auch Wissen wird weitergegeben. Interessiere lernen, wie man klettert, Bäume besetzt oder andere Aktionen macht. Ab und an kommt auch die Polizei vorbei – und betont momentan keinen Anlass für eine Räumung zu sehen.

Der Vorsitzende der CDU-Ratsfraktion, Arne Rüstemeier, war ebenfalls persönlich vor Ort. Er versteht die Aufregung nicht. Schließlich würden für jeden gefällten Baum anderswo vier neue gepflanzt. Die seien jedoch kein angemessener Ersatz für die teilweise 150 Jahre alten Bäume, die im Bahnhofswald nun weichen sollen, entgegnen die Umweltschützer*innen. Eine 150-jährige Buche etwa nimmt pro Tag bis zu 24 Kilogramm CO2 auf, so viel wie ein Kleinwagen im Durchschnitt auf 150 Kilometer in die Luft pustet. Sie produziert täglich rund 11.000 Liter Sauerstoff, das entspricht in etwa dem Tagesbedarf von 26 Menschen. Über ihre Blätter verdunstet sie täglich bis zu 500 Liter Wasser und sorgt damit für ein kühleres Stadtklima und sauberere Luft. Neupflanzungen könnten das allenfalls in Jahrzehnten ersetzen. Doch das Erdklima steuert rasant auf eine ganze Reihe von Kipppunkten zu, deren Überschreiten katastrophale Kettenreaktionen hervorruft. Einer dieser Punkte wird erreicht, wenn die Kapazitäten der Wälder zur Kohlenstoffbindung zu weit abfallen. Dann geht uns buchstäblich die Luft aus.

Diese Denkweise, nach der man getrost roden könne, wenn man nur für Ersatzpflanzungen sorge, ist leider normal und weit verbreitet, beklagen die Aktivist*innen. Und das sei ein riesiges Problem, das sich nicht nur am Bahnhofswald äußere. Allein für Flensburg nennen sie vier weitere Beispiele. Am Museumsberg sollen Bäume gefällt werden, damit Tourist*innen einen besseren Blick auf die Förde haben. Ebenso soll es Teilen des Baumbestandes im Christiansenpark ergehen. Gerüchteweise soll es an der Nordspitze vom Harniskai Pappeln und in der Duburgerstraße Kastanien an den Kragen gehen.

„Dass der Konflikt sogar hier in einer relativ kleinen Stadt wie Flensburg eine solche Dynamik erzeugt, zeigt, wie verfehlt die Prioritäten der Politik sind.“ Doch man könne, wenn man nur wolle. „Es werden Banken gerettet und Konzerne wie Lufthansa mit aller Kraft über Wasser gehalten. Kapitalinteressen sind offenbar wichtiger als Umweltbelange: Bäume, Klima und Stadtökologie interessieren kaum“, schimpft eine der Besetzerinnen. Wären sie nicht hier, hätte man im Bahnhofwald wohl längst Fakten geschaffen. Deshalb freut sich auch die Bürgerinitiative Bahnhofsviertel Flensburg über die Initiative der jungen Klimaschützer*innen. Sie sammelt noch Spenden, um den Hotel- und Parkhausbau mit einer Klage zu stoppen. Die Besetzung verschafft ihnen Zeit.

Einige Fotoimpressionen der ersten Besetzungswoche haben wir hier zusammengestellt: https://subtilus.info/2020/10/08/eine-woche-bahnhofswaldbesetzung/

Kontakt zur Besetzung: rodung@nirgendwo.info