Wir dokumentieren hier das Plädoyer der Laienverteidigerin im Prozess um die Räumung der Luftschlossfabrik:
In den Plädoyer der Staatsanwaltschaft wurde dem Angeklagten vorgeworfen, die Auseinandersetzung mit der Polizei gesucht zu haben.
Stellen Sie sich vor, sie erhielten einen Brief in dem stünde, sie sollen in den nächsten drei Wochen ihre Wohnung verlassen und all ihre Sachen mitnehmen. In dem Brief stünde keine Rechtsgrundlage der Aufforderung und keine Ansprechperson und unterzeichnet wäre er nicht mit einem Namen sondern nur mit „Obergerichtsvollzieher“, die Adresse auf dem Umschlag wäre handgeschrieben und adressiert wäre der Brief an Sie und all ihre Mitbewohner. Hinweise, was sie gegen die Androhung unternehmen könnten fänden sich keine. Sie beauftragen einen Anwalt, sie zu vertreten und der beantragt für Sie den Erlass einer einstweiligen Verfügung, die Räumung zu stoppen. Die Gerichte schieben sich sodann die Zuständigkeiten hin und her und bevor es zu einer Erwiderung in der Sache kommt stehen die Abrissbagger und Wasserwerfer vor der Tür. Und jetzt sollen Sie es gewesen sein, die die Auseinandersetzung mit der Polizei suchten?
Die Staatswanwaltschaft verglich in ihrem Plädoyer die Geschehnisse am Tag der Räumung mit bewaffnetem Kampf. Der Vergleich ist ebenso verfehlt wie unpassend. Er konstruiert das Bild von einem gut organisierten, gewalttätigen Mob, der schwer bewaffnet den Kampf mit der Polizei aufgenommen hat. Der Begriff weckt gezielt Assoziationen zur RAF. Dass es sich vorliegend jedoch schlicht um Menschen handelte, die sich gegen einen unrechtmäßigen Polizeieinsatz, mit 2 Wasserwerfern, einem Räumpanzer und 220 Beamt_Innen wehrten bleibt außen vor. Mit so einer Äußerung wird die „Gewalttätigkeit“ der einen Seite hervorgehoben, während z.B. der Einsatz von Schmerzgriffen bei der Räumung des Angeklagten aus dem Gebäude unkommentiert bleibt.
Wenig überraschend komme ich auch hinsichtlich der gesamten rechtlichen Bewertungen zu anderen Schlüssen als Herr Truknus.
Absatz drei des vorgeworfenen Widerstandsparagrafen besagt:
„Die Tat ist nicht nach dieser Vorschrift strafbar, wenn die Diensthandlung nicht rechtmäßig ist“
Herr Truknus führte aus, es gelte bei der Frage nach der Straffreiheit einer Widerstandshandlung eine anderer Rechtmäßigkeitsbegriff als im Verwaltungsrecht. Das mag zwar stimmen, aber ganz egal welchen Rechtmäßigkeitsbegriff wir im vorliegenden Fall annehmen: Die Räumung erfüllt ihn nicht. Die Argumentation der Staatsanwaltschaft eine rechtswidrige Polizeihandlung werde dadurch quasi subjektiv rechtmäßig, dass dem Einsatzleiter vom Gerichtsvollzieher ein Zettel gezeigt worden sei auf dem irgendetwas offiziell aussehendes stehe reicht dafür aus mehreren Gründen nicht aus:
1. Polizeibeamte lernen in ihrer Ausbildung auch juristische Grundlagen. Dass es sich bei den Bewohner_Innen des Geländes nicht um Angehörige der Tycoon Unlimited GmbH handelte war der Polizei bewusst. Der gegen Tycoon ergangene Räumungstitel hätte also von der Polizei nicht als Grundlage einer Räumung akzeptiert werden dürfen.
2. Dass das Schreiben des Gerichtsvollziehers an die Bewohner_innen offenkundig keinerlei formellen Ansprüchen genügt ist offenkundig. Auch für den Fall, dass der Obergerichtsvollzieher also dieses Schreiben der Polizei zeigte und zur Durchsetzung um Amsthilfe bat hätte die Polizei das Amtshilfeersuchen wegen offenkundiger Rechtswidrigkeit ablehnen müssen. Insbesondere aufgrund der in den Medien bereits geführten Debatte um die Rechtmäßigkeit einer eventuellen Räumung wäre es die Pflicht der Einsatzleitung gewesen, dem Amtshilfeersuchen nicht blind nachzukommen.
3. Eine Auslegung wie die des Staatsanwaltes Truknus zur Rechtmäßigkeit von polizeilichen Diensthandlungen ist faktisch eine Absage an die explizite Regelung des Paragrafen. Ein Rechtmäßigkeitsbegriff, der so weit gefasst ist, dass rechtswidrige Räumungen von Wohnraum darunter fallen, weil ein leitender Polizeibeamter im Entferntesten Gründe gehabt haben könnte anzunehmen, was er tat sei doch irgendwie rechtmäßig ist offensichtlich eine Farce. Wir haben es im vorliegenden Fall meiner Ansicht nach mit einem Paragrafen zu tun, der Herrn Truknus schlicht inhaltlich nicht gefällt und den er darum mit aller Fantasie umzudeuten versucht. Er ist damit nicht allein: Schon länger fordern Polizeigewerkschaften und andere Polizeivertreter_innen die Abschaffung dieses Paragrafen. Der Grund ist beängstigend simpel: Zahlreiche Polizeihandlungen erfolgen ohne genaue Prüfung einer Rechtsgrundlage. Dass es straffrei ist, sich dagegen zu wehren, passt einem Apparat nicht, der blinden Gehorsam gewohnt ist und Widerstand bestrafen können will, ganz egal wie absurd die polizeiliche Maßnahme ist gegen die sich der Widerstand richtet.
Ich bleibe dabei: Die Räumung war von Anfang bis Ende rechswidrig.
Herr Truknus führte darüberhinaus aus, der Angeklagte habe sich „weitergehend erkundigen“ können. Wie eine weitergehende Erkundigung als das Einschalten eines Anwalts und das Einreichen eines Eilantrags auf Erlass einer Unteralssungsverfügung hätte aussehen sollte führte Herr Truknus nicht aus.
Absatz (4) des vorgeworfenen Widerstandsparagrafen regelt:
Nimmt der Täter bei Begehung der Tat irrig an, die Diensthandlung sei nicht rechtmäßig, und konnte er den Irrtum vermeiden, so kann das Gericht die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2) oder bei geringer Schuld von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen.
Konnte der Täter den Irrtum nicht vermeiden und war ihm nach den ihm bekannten Umständen auch nicht zuzumuten, sich mit Rechtsbehelfen gegen die vermeintlich rechtswidrige Diensthandlung zu wehren, so ist die Tat nicht nach dieser Vorschrift strafbar; war ihm dies zuzumuten, so kann das Gericht die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2) oder von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen.
Dieser Absatz macht verschieden Szenarien auf für den Fall, dass die Diensthandlung zwar rechtens war, daran aber Zweifel beim Täter bestanden. Sollte das Gericht also der Meinung sein, die Polizeihandlung sei rechtmäßig gewesen, was die Verteidgung nach wie vor verneint, so müsste geprüft werden, ob der Täter den Irrtum darüber hätte vermeiden können, die Maßnahme für rechtswidrig zu halten. Vorliegend ist nicht ersichtlich, wie der Angeklagte angesichts seiner Situation auch nur im Ansatz zu einer anderen Rechtsauffassung hätte gelangen könne oder müssen. Die Rechtswidrigkeit drängt sich vielmehr auf.
Desweiteren halte ich das „Ausschlussverfahren“ mit dem der Angeklagte „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ identifiziert worden sein soll nach wie vor für nicht nachvollziehbar und lückenhaft.
Die Tatsache das mehrere Menschen an dem Tag eine blaue Unterhose getragen haben wurde als wahr unterstellt, ebenso die Tatsache das die Menschen auf dem Flachdach sich immer wieder in einen Raum zurückziehen konnten in dem sie sich, ohne beobachtet zu werden, umziehen konnten.
Es gibt unterschiedliche Aussagen über die Anzahl der Menschen in verschiedenen Polizeiberichten und keiner der zwei Polizeizeugen die an der Räumung beteiligt waren konnte den Angeklagten als den Menschen identifizieren, den sie auf dem Dach gesehen haben. Aus dem Beweisvideo wird nicht ersichtlich ob und wenn ja wie viele andere Menschen noch gelbe Handschuhe trugen. Es wird auch nicht ersichtlich in welchem Zeitraum die Aufnahmen entstanden sind und was dazwischen, davor oder danach passiert ist und was die Leute dabei anhatten.
Bei dem Video handelt es sich um Szenen unterschiedlicher Polizeikameras, die ohne Zeitangaben zusammengeschnitten wurden und in denen keine Chronologie erkennbar ist.
Wenn Verfahren gegen Polizisten aus dem Grund eingestellt werden, dass es sich bei dem angeführten Video nur um einen Ausschnitt aus dem Gesamtgeschehen handle und für eine Beurteilung der Situation das gesamte Videomaterial benötigt werde, frage ich mich warum es in einem Prozess gegen einen ehemaligen Bewohner plötzlich völlig ausreichend sein soll sich auf Bruchstücke zu beschränken
Auch die Art der „Pyrochtechnik“ ist unklar. Die Reaktion des Polizisten die auf dem Video zu sehen ist unterscheidet sich in mehreren Punkten von dem, was er in der Zeugenbefragung aussagte.
Auf dem Video ist zu sehen, wie die „Pyrotechnik“ von seinem Schild abprallt und er danach die Leiter erst weiter hoch steigt. Dann entschied er sich um und steigt wieder herab.
Seine Aussage zu dem Vorgang sah vollkommen anders aus. Er sagte er sei ohne Schild, 2 Meter auf die Leiter gestiegen, sei dann von einem unbekannten pyrotechnischen Objekt knapp verfehlt worden, mit Steinen, Flaschen und Farbbeuteln beworfen worden und habe daraufhin von der Leiter springen müssen. In der Aussage des Polizisten, die den Vorgang überdramatisiert, lässt sich klar ein gesteigerter Belastungswille erkennen. Seine Reaktionen hingegen, lassen nur eine Schlussfolgerung zu, das es sich um keine sonderlich beeindruckende oder gefährliche „Pyrotechnik“ gehandelt haben kann.
Für mich ist sowohl der Tatbestand des Widerstandes als auch der Körperverletzung nicht erfüllt. Ich plädiere daher auf Freispruch