Besagter Aufstand fand in der Nacht vom 27. zum 28. Juni 1969 statt, nachdem Polizisten in New York eine Razzia in der Schwulen- und Transgenderbar “Stonewall Inn” durchführten. Für die Schwarzen und Latina Dragqueens und LGBTI* war diese Kneipe noch ein viel wichtigerer Rückzugsort, als für die weissen Schwulen, die sich im Alltag als Heteros ausgeben konnten und mit den weißen Privilegien ausgestattet waren. 1969 war schließlich erst wenige Jahre nach der Bürgerrechtsbewegung in den USA. Und Persons of Colour* waren nach wie vor massiven Diskriminierungen ausgesetzt. Sowohl auf sozialer als auch auf finanzieller Ebene waren die schwulen, lesbischen und trans* Persons of Colour stark benachteiligt. Es waren Menschen, die nichts mehr zu verlieren hatten, als diesen einen Schutzraum. Es waren Menschen, die die Mischung aus Rassismus, Homo- sowie Transphobie* und Klassismus*, der sie täglich ausgesetzt waren, nicht mehr aushalten konnten und wollten.

Im Stonewall-Film wird die Hauptrolle in den Krawallen dem weißen, schwulen, Mittelschichtsjungen Danny zugeschrieben, welcher von Jeremy Irvine gespielt wird. Danny sieht nicht typisch schwul aus, und auch der Schauspieler ist heterosexuell. Roland Emmerich bezeichnet die Rolle auch als “straight-acting”, was heißt, dass ein Schwuler so tut als ob er heterosexuell wäre. Damit wird verbunden, dass er sich nicht weiblich gibt, sondern oft eine Form von übersteigerter Männlichkeit zur Schau stellt. Doch genau dieses “straight-acting” war das, wogegen die Menschen sich erhoben haben: Sie wollten sich nicht mehr verstecken und im Beruf wie vor der Familie den heterosexuellen Mann zu spielen. Doch genau das ist auch die Erwartungshaltung, die Schwulen, Lesben und trans* Menschen auch heutzutage wieder entgegengebracht wird: Es sei zwar in Ordnung, dass wir schwul, lesbisch oder trans* sind, aber nur solange man es uns nicht ansieht. So sprechen viele Schwule davon, dass sie sich einen “hetero-liken” Freund wünschen – und trans* Menschen scheuen sich zum Teil davor, sich mit anderen trans* Personen zu zeigen, die kein perfektes Passing* haben. Aus diesem Verhalten spricht oft ein verinnerlichter Selbsthass und eben kein “Pride” (eng. Stolz).

Außerdem ist es problematisch, dass die Person, die den ersten Stein wirft, entgegen der Geschichte, im Film weiß ist: Tatsächlich war es wohl die Schwarze Dragqueen Marsha P. Johnson, die den ersten Stein warf und die im Film eher im Hintergrund auftaucht. Ein weitere Entscheidung Emmerichs ist ebenfalls schwer nachvollziehbar: Rollen im Film, die trans* Personen darstellen, wurden nicht von solchen gespielt. Eine Rolle ist auch meist mit einer Identität und vielen Erfahrungen und Gefühlen verknüpft, und Personen mit der Identität der Rolle können wohl deutlich einfühlsamer und authentischer spielen. Außerdem sind trans* Personen generell sehr häufig von Arbeitslosigkeit betroffen und ihnen auch noch die Rollen zu nehmen, für die sie wesentlich besser geeignet sind als ihre cis-gender Kolleg_innen, ist nicht in Ordnung.

Wäre es denn in Ordnung, wenn ein Weißer die Rolle von Martin Luther King Jr. oder Gandhi spielen würde? Außerdem würde sicher niemand auf die Idee kommen, einen cis-Mann die Rolle einer Frau spielen zu lassen. Und auch trans* Frauen sind Frauen.

Dass Emmerich den Fokus seines Filmes auf eine weiße, cis-männliche und heterosexuell wirkende Person aus der Mittelschicht richtet, hat neben der Misogynie (Abwertung von Weiblichkeit) auch wirtschaftliche Gründe: Er kalkuliert schlicht mit ein, dass der Film erfolgreicher wird, wenn der durchschnittliche weiße, heterosexuelle Mann sich mit dem Helden des Filmes halbwegs identifizieren kann und dann mit einem Gefühl der Genugtuung aus dem Kino geht.

Anstatt den Film im Kino zu sehen und damit auch noch derartige Strategien zu unterstützen, streamt ihn doch im Internet. Oder wartet bis er im Fernsehen läuft.

Zumindest in Amerika war der Film dank eines weitreichenden Aufrufes zum Boykott alles andere als ein Kassenschlager.

Nur weil einige von uns mittlerweile ähnliche Privilegien genießen wie heterosexuelle und cisgender Menschen, dürfen wir nicht aufhören zu kämpfen. Wir sollten uns stets auf die Seite derer stellen, die weniger Möglichkeiten haben als wir und uns nicht auf unseren Errungenschaften ausruhen. Und ob diese Möglichkeiten eingeschränkt werden, weil eine Person nicht-weiss, nicht-männlich, nicht-heterosexuell, nicht-cisgender, nicht-mittelklasse oder nicht-ablebodied* ist, darf keine Rolle spielen, wenn es darum geht für ihr Recht zu einzustehen.

Anstatt jedes Jahr auf den Christopher-Street-Days eine große Party zu feiern, und uns über jedes kleine Stück vom Kuchen (z.B. Ehe) zu freuen, sollten wir die gesamtgesellschaftlichen Zusammenhänge, die zu unserer Unterdrückung überhaupt geführt haben, überwinden.

Until all are free, no one is free.
Bis alle frei sind, ist keine*r frei.

Alternativen zu Emmerichs Stonewall-Film:

Happy Birthday Marsha – In diesem sich noch in der Produktion befindlichen Film soll endlich Marsha P. Johnson eine gebührende Anerkennung für ihr Lebenswerk erhalten.

Major! – In diesem geplanten Dokumentarfilm soll es um das Leben der transgender- Aktivistin Miss Major Griffin Parker und ihre Rolle in den Stonewall-Aufständen gehen.

Glossar
– Person of Colour (PoC): Selbstbezeichnung von als nicht-weiß geltenden Personen, die sich Rassismus ausgesetzt fühlen.

– LGBT*I*: Schirmbegriff für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans* und Inter* Personen

– trans*: Trans* fasst die Lebensweisen aller der Personen zusammen, die nicht in dem Geschlecht leben wollen, in dem sie leben sollen. Das Sternchen steht stellvertretend für die verschieden Identitäten, wie z.B. transidentitär oder transgender.

– cis: cis ist das Gegendteil von trans. Es bedeutet, dass eine Person in dem Geschlecht leben möchte, in dem sie leben soll. Wenn eine Person z.B. als Frau geboren wird und auch als Frau leben möchte, dann ist sie eine cis-Frau.

– Passing: Passing bezeichnet, in wie weit eine trans* Person als das Geschlecht wahrgenommen wird, als das sie sich fühlt.

– Klassismus: Vorurteile oder Diskriminierung aufgrund von sozialer Herkunft oder sozialer Position. Richtet sich überwiegend gegen Arbeiter ( working-class ) und arme Menschen ( poverty-class )

– ablebodied: Als ablebodied wird eine Person bezeichnet, deren Körper über keine Ausprägungen verfügt, die diese Person z.B. in ihrer Bewegungsfreiheit einschränken. Es ist das Gegenteil von disablebodied.