So langsam bin ich von den bürokratischen Abläufen gehörig genervt. Gestern abend waren meine Antragsformulare fast aufgebraucht. Als ich um kurz nach acht nach mehr gefragt habe, hieß es nur: „Es ist Nachtruhe. Jetzt passiert hier gar nichts mehr“. Anträge müssen aber bis um 7 Uhr morgens abgegeben werden. Heute morgen habe ich dann erfahren, dass es Antragsformulare erst wieder abends gibt. Als ich der Beamtin erklärte, dass ich noch nicht über diese Regel informiert war und nach ner Ausnahme gefragt habe hieß es nur: „Machen wir grundsätzlich nicht, weil so lernt man, sich an Regeln zu halten.“
Auch das mit dem Einkaufen war komplizierter als gedacht. Denn auf der Einkaufsliste stehen alle Preise drauf, außer die von Obst und Gemüse. Die Preisliste dafür hängt im Flur – das habe ich aber erst erfahren, als meine Zelle abends schon abgeschlossen war. Im Flur gab es zudem einen Aushang auf dem stand, dass die Bestellscheine bis halb neun abgegeben werden können.
Ab dem Moment, wo morgens die Zellentür aufging (6.40 Uhr) war ich erstmal gehörig gestresst. Entscheiden wofür ich mein letztes Antragsformular verwende. Dann zur Obstpreisliste hetzen und herumrechnen, wie das preislich mit meinem restlichen Einkauf passt. Um kurz nach sieben haben Mithäftlinge mich dann darauf hingewiesen, dass ich auch den Bestellschein schon längst hätte abgeben müssen. Also wieder ins Büro hetzen und darauf hoffen, dass die Beamtin, die keine Ausnahmen macht, doch ne Ausnahme macht. Hat sie dann zum Glück auch. Aber einen Moment lang hatte ich Angst, dass ich wegen dieses bescheuerten „Abgabe bis 8.30“- Aushanges meine einzige Einkaufmöglichkeit verpasst habe.
Währenddessen wurde ich wieder mehrfach darauf hingewiesen, dass meine Kleidung nicht adäquat sei. Diesmal wurde sich darüber beschwert, dass ich ein schulterfreies Top (die Wärterin hat es als „Unterhemd“ bezeichnet) an hatte.
Als ich im Wachraum nach einem Tesafilmstreifen frage, um einen aufgerissenen Briefumschlag wieder zu kleben, kriege ich widerwillig einen, denn „eigentlich ist das unser Büromaterial“. Gestern, als mir fast alle Gegenstände abgenommen wurden, hieß es noch: „Fragen Sie einfach die Beamten auf Station. Die geben ihnen alles was sie brauchen, also wenn sie z.B. nen Tesafilm-Streifen benötigen…“
Zum Frühstück gab es wieder Brot und die gleichen zwei Aufstriche wie die letzten Tage. Als ich mir den Essensplan angeguckt habe, hab ich rausgefunden, dass es wohl jeden Tag Brot gibt. Morgens und abends. Nur diejenigen, die arbeiten, kriegen zusätzlich noch einen Joghurt oder ein Ei. Ich bin (noch) froh darüber, dass es im Gemeinschaftsraum eine Schale mit Äpfeln gibt. Vermutlich werde ich nach zwei Wochen erstmal keine Äpfel mehr sehen können.
Der Himmel draußen ist unglaublich schön. Strahlendes hellblau geht über in weiß und rosa am Horizont. Dazu der helle Pulverschnee. Zwei Krähen sitzen kuschelnd auf einem Ast. Nur die Gitterstäbe stören das Bild.
Mein Haftantritt hat in der JVA wohl für gehörigen Wirbel gesorgt. Am Rande erfahre ich, dass die Sicherheits-Chefin eine Rundmail an alle Angestellten geschrieben hat, um vor der Kundgebung zu warnen. In einer zweiten Mail hat sie dann auch noch einen Link zu einem RTL-Bericht über mich rumgeschickt. Später beim Hofgang erzählte eine Gefangene, dass die JVA am Tag der Kundgebung großräumig abgesperrt gewesen sein muss. Sie hatte eigentlich Besuch von ihrem Rechtsanwalt erwartet, aber dieser wurde – mit Verweis auf die stattfindende Kundgebung – nicht reingelassen. „Die haben wohl Randale befürchtet“, mutmaßt eine andere Gefangene. Ich frage mich langsam wirklich, was die Polizei wohl von mir denkt. Schon beim Gerichtsprozess war eine Hundertschaft mit acht Wannen aufgefahren. Alle ZuschauerInnen mussten durch einen Seiteneingang und wurden einzeln abgetastet. Was eine Torte so alles bewirken kann.
Das Gespräch mit dem Pastor heute war angenehm. Am Anfang hat er mir versichert, dass er Schweigepflicht hat und dann haben wir fast eine Stunde lang über alle möglichen Knast-Themen gequatscht. Zum Beispiel hat er mir erzählt, dass es 2006 eine Föderalismus-Reform gab – seitdem ist die Gestaltung des Strafvollzugs Ländersache. Was sich erstmal gut anhört, hatte dann leider auch die Nebenwirkung, dass das Thema Knast aus der bundesweiten Öffentlichkeit verschwunden ist. Durch das Gespräch ist mir auch nochmal klarer geworden, welche Privilegien ich gegenüber den anderen gefangenen habe. Ich schäme mich nicht dafür, dass ich hier bin. Mir wurde in meiner Kindheit beigebracht zu diskutieren und mich zu beschweren, wenn etwas schief läuft. Alleine das sind laut Aussage des Pastors Fähigkeiten, die vielen Gefangenen fehlen. Wenn die beispielsweise den Einkauf verpasst haben, dann halten sie lieber die Klappe und warten noch einen Monat anstatt darüber zu diskutieren, dass die Schilder im Flur irreführend sind. Auch wirken viele Gefangene froh darüber, auch nur einen Bruchteil der Unterstützung zu haben, die ich erlebe.
Als ich ihm davon erzähle, wie wenig ich mit auf die Zelle nehmen durfte, erklärt er mir, dass die BeamtInnen Neuzugänge erstmal kennenlernen wollen. Es gäbe viel selbstverletzendes Verhalten und da Gefangene bei sowas sehr kreativ werden können, werde ihnen erstmal präventiv alles mögliche abgenommen. Zum Abschied gibt er mir noch einen Text zum lesen und bietet mir Tabak an – da ich nicht rauche lehne ich dankend ab.
Zurück auf Station entdecke ich, dass die Teekanne in meiner Zelle weg ist. Die Beamtin erklärt mir, dass Neuzugänge nur in den ersten paar Tagen eine Kanne gestellt bekommen. Danach kann man sich diese ja beim Einkauf selbst kaufen. Wieder etwas, was verdammt nervig sein kann, wenn der Einkauf gerade vorbei ist. Ausnahmsweise bekomme ich für heute Nacht noch eine Kanne. Ich werde die Kanne vermissen. Sie war praktisch, um im Blick zu behalten, wie viel ich schon getrunken habe. Ich vergesse oft genug zu trinken.
Generell achte ich hier viel penibler auf gesundheitliche Sachen: warm genug anziehen, Obst essen, genug trinken usw. Ich habe Angst krank zu werden – krank sein im Knast stelle ich mir viel ätzender vor als in Freiheit. Denn wenn ich was ansteckendes habe – und sei es auch nur eine normale Wintergrippe – müsste ich 23 Stunden am Tag in meiner Zelle verbringen.
Heute habe ich endlich die Post bekommen, die am Montag an der JVA-Pforte abgegeben wurde. Ich habe mich mega über alles gefreut! Einen großen Dank an alle Briefeschreiber*innen. Meine Zelle sieht jetzt, wo viele bunte Postkarten, Liedtexte und Comics an der Wand hängen, viel hübscher aus. Die Liedtexte habe ich direkt beim Auspacken gesungen. Vermutlich mit falscher Melodie, aber für einen Moment habe ich mich sehr den lieben Menschen draußen verbunden gefühlt.
Leider wurden mir eine „Du kommst aus dem Gefängnis frei“-Monopoly-Karte und diverse Fotos nicht gegeben. Da ich keine Pinnadeln bekomme („Die müssen Sie beim Einkauf bestellen“) werde ich kreativ. Ich knibbel die kleinen Metallklemmen von den Teebeuteln ab, biege sie auf und kann damit tatsächlich einiges an die Pinnwand hängen. Ebenfalls nützlich sind die kleinen Kleberänder um Briefmarken herum.
Besonders gefreut habe ich mich über eine solidarische Postkarte von einem Gefangenen aus dem Nachbargebäude. Er empfiehlt mir, dass nächste mal lieber keine guten Lebensmittel zu verschwenden, sondern gleich mit Storchenscheiße zu werfen.