Kofferkontrolle und Arztbesuch
Ich schlafe unruhig. Immer wieder werde ich davon geweckt, dass im Flur mit laut rasselndem Geräusch Türen auf und zu geschlossen werden. Gegen halb sieben muss ich mich fürs Frühstück anziehen. Als ich barfuß meine Zelle verlasse werde ich von einem Wachtmann zurück gepfiffen. Ich soll mir Schuhe anziehen. Ich erkläre ihm freundlich, dass ich schon selbst auf meine Füße aufpassen kann und frage nach dem warum. Er pampt mich nur an „Weil ich das sage.“ Ich habe Angst am Ende ohne Frühstück da zu stehen und trotte widerwillig zum Schuhe anziehen in die Zelle zurück. Der gleiche Wachmann nimmt – obwohl die tägliche 7 Uhr Frist schon vorbei ist – meine Anträge entgegen und bearbeitet diese direkt. Meine Besuchswünsche werden einfach so abgenickt, 2 Stunden pro Monaten stehen mir zu. Telefonieren darf ich immer noch nicht.
Danach geht‘s zum Koffer auspacken. Ich muss alle Kleidung, die ich erst gestern bekommen habe, wieder abgeben. Theoretisch darf ich meine eigene Kleidung mit reinnehmen, aber nur, wenn in jedes einzele Stück ein Patch der JVA eingebrannt wird. Da sich die Patches nicht wieder entfernen lassen, entscheide ich mich für Anstaltskleidung. Stück für Stück sortiert eine Wärterin fast alles, was ich dabei habe in eine Aufbewahrungsbox. Eine Wärmflasche landet wegen der Verbrühungsgefahr in der Box. Ebenso eine Yoga-Matte-denn Sport in den Zellen ist wegen der Verletzungsgefahr verboten. Schreibmaterialien, Wolle, Stricksachen und Briefumschläge ebenfalls – ich könnte ja versuchen Drogen rein zu schmuggeln. Die Wärterin erklärt mir, dass im Knast fast alle Drogen konsumieren. Die Suche danach sei „wie ein Katz und Maus-Spiel. Mal gewinnen wir und mal die anderen.“
Von den mitgebrachten Büchern soll ich maximal 6 aussuchen. Ich bin froh, dass ich die Anstaltsordnung schon lesen konnte und ihr daher erklären kann, dass bis zu 19 Bücher in der Zelle erlaubt sind. Ich bin überrascht, dass ich bei den Büchern völlig frei auswählen kann. So darf ich z.B. ein Anarchie-Sachbuch und eine Broschüre mit Knast-Kritik mit reinnehmen. Bei einer Freundin, die vor kurzem in einem anderen Knast war, war nur seichte Belletristik erlaubt und Foucaults „Überwachen und Strafen“ wurde zensiert.
Am Ende frage ich erneut nach einem Telefonat. Erst werde ich damit vertröstet, dass ich bestimmt bald meine Telefonkarte kriege. Nach vehementerem Nachfragen lassen sich die Beamtinnen darauf ein, dass ich zumindest kurz telefonieren kann. Ich freue mich schon darauf – doch zurück auf Station erklärt der diensthabende Wachmann den Beamtinnen, dass ich nicht telefonieren darf. Siene Begründung, ich hätte schon mal gefragt und er hat da schon „nein“ gesagt, erscheint mir fadenscheidig.
Danach geht‘s zur Ärztin. Ich bin alleine in der WartezimmerZelle und freue mich über die komplett vollgekritzelten Wände. Ein bisschen erinnert mich das an Schmierereien auf den Schultoiletten. Ich finde Kontakt-Anzeigen („bin Single, suche Brieffreundschaft“ und „Fuck the Justiz“-Sprüche. Nazis und Linke scheinen sich abzuwechseln. Einige Hakenkreuze sind übermalt, aber an anderer Stelle hat wer das „tot“ in „Nazis tot“ durch „gut“ ersetzt. Leider habe ich selbst keinen Stift dabei.
Da bei mir gesundheitlich alles ok ist, ist die Arzt-Untersuchung kurz. Ich habe mir in den Knast-Schuhen Blasen gelaufen und kriege dafür Pflaster. Zurück auf Station geht‘s weiter mit der Aufnahme-Prozedur. Schon wieder dieselben Fragne. Ob Kinder oder Tiere versorgt werden müssen, ob ich Dorgen nehme oder schonmal Suizidgedanken hatte. Ich frage wo und wie lange die Daten gespeichert werden. „Joa, das kann er mir jetzt leider nicht sagen wie da die gesetzlichen Fristen sind. Vielleicht 12 Jahre, vielleicht auch kürzer.“ erklärt mir der Beamte.
Danach kriege ich meine Telefonkarte. Eine Wärterin erklärte mir, dass es normal sei, dass Anträge so schnell bearbeitet werden. Ich habe Glück, dass ich in der Frauen-JVA gelandet bin. Diese ist mit knapp 50 Insassinnnen deutlich kleiner als die benachbarte Männer-JVA mit 400 Gefangenen. Dadurch können Anliegen schneller bearbeitet werden. Dies hier ist übrigens die einzige Frauen-JVA in Schleswig-Holstein. Frauen machen nur etwa 5% aller Gefangenen aus. Menschen, die sich weder als Mann noch als Frau einordnen, sind im Knast-System nicht vorgesehen und gehen daher auch nicht in die offizielle Statistik ein.
Telefon, Zeitung und Gedanken über Strafe
Da ich inzwischen bei der Ärztin war, hat meine Zelle nun einen grünen Punkt und ich darf am Aufschluss teilnehmen. Im Text mit den Gründen für meine Haft habe ich erwähnt, dass ein Knast nicht funktionieren würde, wenn es nicht Menschen gebe, die die Türen geschlossen halten. Ironischerweise bin ich jetzt ein solcher Mensch: Denn für die Zeit des Aufschlusses bekomme ich meinen eigenen Zellen-Schlüssel. Im Knast wird wohl viel geklaut.
Beim nächsten Aufschluss kann ich direkt das Flur-Telefon nutzen. Die Telefon-Preise sind absurd hoch. Für eine Minute bezahle ich 25 Cent, für die erste sogar 50 Cent, also halte ich das Gespräch kurz. Wenn man bedenkt, dass Gefangene nur 1-2 Euro die Stunde verdienen, kommen einem die Preise noch höher vor. Für eine Stunde Arbeit im Knast könnte ich ca. 5 Minuten telefonieren. Für eine Stunde zum Mindestlohn (8,50 Euro) in Freiheit kann ich dort mit einem normalen Prepaid-Tarif von 9 Cent/Min fast 100 Minuten telefonieren. Dabei ist es im Knast eh schon schwierig genug soziale Beziehungen aufrecht zu erhalten. Man sieht sich max. 2 Stunden pro Monat und nach wenigen Monaten fehlen durch den immer gleichen Tagesablauf die Gesprächsthemen.
Im Gemeinschaftsraum finde ich eine aktuelle taz und die Lübecker Nachrichten. Es gibt einen Artikel über die Kundgebung gestern, es ist merkwürdig sich selbst in einer Zeitung zu sehen. Bei der taz interessiere ich mich besonders für Artikel übers Betäubungsmittelgesetz und Schwarzfahren. Beides Beispiele für besonders absurde Auswüchse unseres Straf- und Knastsystems. Ich bin froh zu lesen, dass diese Absurdität jetzt sogar beim Bund Deutscher Kriminalbeamter angekommen ist. Dieser fordert eine Entkriminalisierung aller Cannabis-Konsumenten. Denn von allen 300.000 jährlichen Strafverfahren wegen eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz geht es bei knapp der Hälfte um Cannabis-KonsumentInnen. Nicht wenige davon landen irgendwann im Knast. Das Betäubungsmittelgesetz ist mit einer der häufigsten Gründe für Haftstrafen. An diesem Beispiel sieht man auch deutlich, dass Haftstrafen hier nichts nützen, sondern die Situation nur verschlimmern, gerade bei Menschen mit Suchtproblematiken. Wobei ich auch klarstellen möchte, dass die meisten Menschen Drogen in gesundem Maße als Genußmittel konsumieren.
So oder so, im Knast wird nicht weniger konsumiert, stattdessen werden gefährlichere Drogen genommen. Im Hildesheimer Frauenknast ist es beispielsweise üblich Buscopan (ein Mittel gegen Menstruationsschmerzen) zu rauchen, was zu Hirnschädigungen führen kann. Auch der Suchtdruck wird bei der schlechteren Stimmung im Knast größer. Selbst wenn im Knast ein Zwangs-Entzug gelingt ist der Rückfall nach der Entlassung fast schon vorprogrammiert.
Beim Schwarzfahren ist es ähnlich. Wer vor dem Knast kein Geld für ein Ticket hatte, wird auch danach keins haben. In Berlin gibt es gar einen Knast, in dem zu 1/3 Schwarzfahrer sitzen. Menschen werden dafür eingesperrt, dass sie ihr Recht auf Bewegungsfreiheit nutzen. Diese Kritik wird nicht nur in der linken Szene geteilt. Auch der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes fordert, dass Schwarzfahren aus dem Strafgesetzbuch gestrichen wird. Dann könnte dafür zumindest niemand mehr in den Knast kommen. Mir wäre ja ein fahrscheinloser Nahverkehr am liebsten.
Am Schwarzfahren lässt sich noch ein anderer Effekt von Strafe und Knast beobachten. Betroffen sind oft die, die sozial eh schon weiter unten stehen. In Hamburg beispielsweise ist die Anzahl der SchwarzfahrerInnen im reichen Stadtteil Blankenese deutlich geringer als in Hamburg-Harburg.
Daran zeigt sich auch, wie Strafe dabei hilft das Machtgefälle in unserer Gesellschaft zu stabilisieren. Für Menschen, die eh schon verarmt und sozial an den Rand gedrängt sind, ist es viel wahrscheinlicher Kleinstdelikte wie Diebstahl oder Schwarzfahren zu begehen. Wer hingegen alles hat, was er/sie zum guten Leben braucht, hat kaum Anlass selbst zu stehlen. Und selbst wenn, hat er/sie vor Gericht bessere Chancen – es ist einfach von Vorteil wenn man gut amtsdeutsch spricht, sich einen kompetenten Anwalt leisten kann und sich bei Tagessätzen frei kaufen kann.
Es ist im Grunde ein sich selbst verstärkender Teufelskreis, welcher verdeutlich, dass Strafe nicht dazu geeinget ist, gesellschaftliche Probleme zu lösen. Denn bei der Bestrafung werden gesellschaftliche Probleme wie der Kapitalismus und die Schere zwischen Arm und Reich völlig außer Acht gelassen.
Hofgang, Sport und Einkauf
Heute komme ich beim Hofgang mehr mit anderen ins Gespräch. Ich möchte die Privatsphäre der anderen Gefangenen respektieren, dehslab werde ich ohne ausdrückliche Erlaubnis keine persönlichen Details erzählen. Nur soviel: Vor ein paar Jahren hat es hier mal einen Ausbruch gegeben. Der Mann hatte sich in der KfZ-Werkstatt eine einfache zusammenklappbare Leiter gebastelt und ist damit einfach über die Mauer. Danach wurde die Mauer 1-2 Meter erhöht und leider wurde er zwei Tage später wieder geschnappt.
Einige Gefangene können im Knast eine Ausbildung machen. Die Auswahl ist recht klischeehaft: Frauen können Gebäudereinigung oder Schneiderin werden. Männer werden zum KfZ-Mechaniker ausgebildet.
Heute konnte ich zum ersten Mal zum Sport. Wir waren von halb sechs bis halb sieben alleine in dem Raum. Denn bis zu vier Häftlinge dürfen allein gelassen werden. Dass wir dort alleine Sport machen, macht es noch ein wenig absurder, dass Sport alleine in der Zelle verboten ist. Der Sportraum ist eine Miscchung aus Lagerraum und Fitnessstudio. In Freiheit wäre ich nie auf die Idee gekommen Geräte in einem Fitness-Studio zu nutzen. Hier hingegen genieße ich die Abwechslung. Vom Laufband aus kann ich den Hof sehen, in dem wir Freigang haben. Die meisten der Geräte sind kaputt, aber es gibt einen Boxsack. Vielleicht mag mir ja jemand Ideen und Übungen für ein 1-stündiges Fitness-Training schicken? Genre auch Yoga, Kraft- oder Kampfsport.
Ich habe Glück, dass ich diesen Montag in Haft kam. Heute wurden die Einkaufsscheine ausgeteilt und ein richtiger Einkauf ist nur einmal im Monat möglich. Es gibt eine furchtbar lange Liste mit Lebensmitteln. Deren Nummer und Menge muss ich auf einen Bestellschein schreiben und dann wird die Ware diesen Freitag ausgeliefert.
Ich freue mich auf morgen früh. Dann habe ich ein Gespräch mit dem Pastor. Ich bin zwar nicht religös, aber bei der kurzen Vorstellung hat er einen netten Eindruck gemacht. Außerdem krieg ich morgen vielleicht endlich Post. Die Post wurde zwar schon am Montag bei der Pforte abgegeben, aber innerhalb des Knastes wird Post erstmal zentral gesammelt und dann erst weiter geleitet. Das kann 3-4 Tage dauern.
Ein Hauch von Freiheit – Ein Gefängnis-Gedicht
Sie können mich einsperren.
Aber der Himmel über meinem Kopf,
Der Boden unter meinen Füßen,
Die Luft die ich atme,
All das bleibt.
Und mein Herz schlägt.
Mit jeder Minute, die vergeht,
pumpt es Blut durch meinen Körper.
Und mein Herz brennt,
Denn es weiß wofür ich kämpfe.
Solange dieses Feuer nicht erlischt,
kann kein Schloss, kein Käfig und keine Mauer
mich wirklich gefangen halten.
Ich lebe, ich atme, ich kämpfe,
Ich liebe, ich lache, ich weine.
Ich bin am Leben.