Die Gruppe „Flensburg für Grundrechte“ wählte dieses Mal einen neuen Veranstaltungsort, getroffen wurde sich am Nordertor. Der Plan der Gruppe war eine Demonstration von diesem Ort aus durch die Norderstraße und die Fußgängerzone bis zum Südermarkt. Genehmigt wurde diese Route jedoch nicht, es wurde festgelegt, dass die Demo an der Schiffbrücke entlang um die Fußgängerzone herum geführt werden sollte. Diese Route wurde bereits im Vorfeld durch das Orgateam im Telegram-Chat als die „weniger attraktive Route“ eingestuft, gegen die mit rechtlichen Mitteln vorgegangen werden sollte. Letztendlich nützte der Einspruch nichts, der Weg durch die Fußgängerzone blieb der Demo versperrt. Da keine Gegendemonstration angemeldet war, dürfte es die Gruppe „Flensburg für Grundrechte“ deutlich irritiert haben, dass sie außerdem durch Beamt*innen der Bereitschaftspolizei begleitet wurde – hatte Alexander Kuhn doch bisher immer darauf verwiesen, dass die Polizei lediglich vor Ort sei, um die Demonstration vor den „Steine werfenden Linken“ zu schützen. Als die Demo schließlich mit ca. 40 Teilnehmer*innen loszog, standen wie gewohnt Gegendemonstrant*innen bereit, um auf die Gefahren von gemeinsamen Demos mit Nazis hinzuweisen. Diese schauten nicht schlecht, als ein Teil der Demo begann „Nazis raus!“ zu skandieren. Dies wurde jedoch nicht getan, um sich von rechten Ideen abzugrenzen und entsprechende Menschen der Demo zu verweisen. Gemeint waren dem Eindruck nach tatsächlich die Gegendemonstrant*innen. Hier zeigte sich erneut, was bereits vor zwei Wochen zu erkennen war: Die Teilnehmer*innen der „Flensburg für Grundrechte“-Demo sind entweder noch immer nicht in der Lage, Antisemitismus und Rassismus in den eigenen Reihen zu erkennen oder verleugnen diese. Zudem versuchen sie die Gegendemo als „die wahren Nazis“ darzustellen, vermutlich, weil sie ihrer Ansicht nach in ihrer freien Meinungsäußerung eingeschränkt werden. Dabei sollte doch mittlerweile deutlich geworden sein, dass sie ihre Meinung sehr wohl äußern dürfen, schließlich demonstrieren sie fast jeden Samstag öffentlich in Flensburg. Meinungsfreiheit bedeutet aber eben nur, dass man die eigene Meinung sagen darf, ein Recht auf Widerspruchsfreiheit hingegen existiert nicht. Wer für seine Meinung auf die Straße geht, muss auch damit klar kommen, dass unter Umständen Kritik an eben dieser geäußert werden kann – vor allem, wenn Personen an den Demos teilnehmen, deren menschenverachtendes Gedankengut mittlerweile ausführlich dokumentiert und veröffentlicht wurde.
Besondere „Highlights“ ereigneten sich dann auf der abschließenden Kundgebung am Südermarkt. Bereits vor dem ersten Redebeitrag konnte eine der mitgebrachten Handtrommeln der Wut einer Teilnehmerin nicht mehr standhalten und das Trommelfell riss deutlich hörbar. Die Redebeiträge selbst enthielten wenig neues: So schimpfte Alexander Kuhn auf die „Regierungen und die Fake-News-Produzenten der Mainstreammedien“ und ein Redner forderte „Lasst uns Gesunde endlich in Frieden!“.
Der zweite Redner begann seine Rede mit folgendem Satz an die Gegendemo: „Es sind heute weder Nazis noch Antisemiten noch Verschwörungstheoretiker hier, ihr könnt also eigentlich nach Hause gehen“. Angesichts dessen, was er danach selbst von sich gab eine jedenfalls gewagte These:
Als von der Empore per Megafon gefordert wurde, man solle sich damit auseinandersetzen, mit wem man gemeinsam demonstriere und ein Verweis auf die in Berlin deutlich sichtbaren Flaggen (Reichsflaggen, III. Weg etc.) erfolgte, ließ der Redner der Demo sich zu der Antwort „Ist doch egal, was das für eine Flagge war“ hinreißen.
Hier ein Artikel zum Thema Flaggen: https://www.belltower.news/die-reichskriegsflagge-erkennungszeichen-moderner-nazis-42566/
Und hier ein Fotobericht von besagter Demo aus Berlin mit zahlreichen Reichsflaggen, Thor-Steinar-T-Shirts, einem Hakenkreuztattoo, „Ungeimpft“-Judensternen etc: https://www.recherche-nord.com/gallery/2020.08.01.html
Der darüber berichtenden Dunja Hayali wurde unterstellt, sie sei eine eine Journalistin, die sich „da an irgendwelche Flaggen ranschleicht, um dann zu zeigen, dass da Nazis unterwegs sind“ und bezogen auf den Fahnenträger wurde die These aufgestellt, dass „der vielleicht vom ZDF da hingestellt wurde.“
Hier tritt zu Tage, was die Gegendemonstration seit Monaten (!) kritisiert: Es wird gemeinsame Sache mit Menschen/Gruppen gemacht, die menschenverachtende Ideologien vertreten! Unsere Kritik ist also weiterhin mehr als angebracht. Solange die Gruppe „Flensburg für Grundrechte“ sich nicht mit menschenverachtenden Positionen in den eigenen Reihen auseinandersetzt und keine glaubwürdige, sondern lediglich eine floskelhafte Distanzierung erfolgt, wird es wohl keine freien Samstage in naher Zukunft geben.
Der bereits erwähnte zweite Redner wiederholte dann nochmal das Märchen von „realistischen Schätzungen“ von mehreren hunderttausend Teilnehmenden auf der Berliner Demo. Bezogen auf die vom Polizeipresssprecher veröffentlichte Zahl sagte er: „Diese Zahl wurde auch nicht von der Polizei verbreitet, sondern von einem Polizeisprecher verbreitet. Und wer weiß, wer ihm das diktiert hat?“. Seine Schlussfolgerung: „Es war wahrscheinlich die größte und friedlichste Demo, die die Bundesrepublik je gesehen hat“. Und „die friedlichste Demo seit 1989“ sei es auch gewesen.
Dann zitierte der Redner Arnold Vaaz, den stellvertretenden Vorsitzenden der Unionsfraktion, bzw genauer dessen Beitrag auf der neurechten Seite Tichys Einblicke. Von diesem Statement distanzierte sich sogar dessen eigene Bundestagsfraktion schleunigst, u.a. wegen des Satzes: „Bei Nazis war es Sippenhaft, im Deutschland von heute ist es Kollektivhaft“
Der mdr schreibt unter https://www.mdr.de/altpapier/das-altpapier-1608.html#sprung1 dazu treffend:
„Um das kurz in Erinnerung zu rufen, Sippenhaft im Nationalsozialismus bedeutete: Ein totalitäres Regime schickte unschuldige Menschen in ein Konzentrationslager, weil in den meisten Fällen unschuldige Angehörige ungerechtfertigter Weise beschuldigt wurden. Der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag vergleicht also Menschen, die an einer demokratischen Demonstration teilnehmen, dafür aber kritisiert werden, mit Opfern des Nationalsozialismus. Und er vergleicht die Motive von Kritikerinnen und Kritikern, die ihr demokratisches Recht wahrnehmen, ihre Meinung zu äußern, mit denen von Nationalsozialisten.“
Dem haben wir nichts hinzuzufügen und beenden unseren Bericht mit einem Terminausblick:
Am 16.08.2020 haben verschiedene Gruppen, die gegen die Maßnahmen der Bundesregierung gegen die Ausbreitung des Corona-Virus demonstrieren, eine gemeinsame Demonstration in Kiel angekündigt und am 22.08.2020 wird eine solche Demo in Flensburg stattfinden. Zudem wird voraussichtlich am 29.08.2020 erneut eine große Demonstration mit Millionen Teilnehmer*innen in Berlin stattfinden. Gegendemonstrationen sind wie immer geplant.